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Rechtsfolgen von vertraglichen Obliegenheitsverletzungen bei unterbliebener Anpassung Allgemeiner Versicherungsbedingungen in Altverträgen an das neue VVG gem. Art. 1 Abs. 3 EGVVG

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BGH, Urteil vom 12.10.2011 – IV ZR 199/10

Das neue VVG macht eine Anpassung Allgemeiner Versicherungsbedingungen in Altverträgen bei Obliegenheitsverletzungen erforderlich. Der Gesetzgeber hat in Art. 1 Abs. 3 EGVVG den Versicherern für Versicherungsverhältnisse, die bis zum 1. Januar 2008 entstanden waren (Altverträge), eine bis zum 1. Januar 2009 befristete Möglichkeit eingeräumt, ihre bestehenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen an das neue Recht anzupassen. Wie viele Versicherer von einer Anpassung Gebrauch gemacht haben, ist ungewiss.

In Literatur und Rechtsprechung herrscht Streit darüber, wie sich der Verstoß gegen das gesetzliche Leitbild auswirkt (zum Meinungsstand in der Literatur siehe: Brand in Looschelders/Pohlmann, VVG, 2. Auflage, Art. 1 EGVVG Rn. 32 ff.).

In einer aktuellen Entscheidung vertritt der BGH (BeckRS 2011, 25821) die Ansicht, dass die unterbliebene Anpassung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen in Altverträgen dazu führe, dass sich der Versicherer auf eine an § 6 VVG a.F. ausgerichtete Sanktionsregelung nicht berufen könne. Dies widerspreche dem Leitbild des neuen § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG, der den Versicherungsnehmer begünstigen wolle (Leistungskürzung statt vollständigen Wegfalls der Leistung bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung) und sei somit unwirksam im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB.

Des Weiteren führt er an, dass eine hierdurch entstehende Vertragslücke hinzunehmen sei, denn § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG sei kein gesetzliches Leistungskürzungsrecht, sondern setze eine vertragliche Vereinbarung über die Sanktion voraus. Aus der Entstehungsgeschichte und der Gesetzessystematik des Art. 1 Abs. 3 EGVVG folge, dass der Gesetzgeber bei einer unterlassenen Anpassung eine spätere Lückenfüllung ausschließen wollte (BeckRS 2011, 25821, Rn. 35f, Rn. 49). Somit müsse der Versicherer eine Sanktionslosigkeit der Verletzung vertraglicher Obliegenheiten hinnehmen. Auch könne über § 306 Abs. 2 BGB § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG nicht zur Lückenfüllung herangezogen werden.

Letztlich komme auch keine ergänzende Vertragsauslegung nicht in Betracht, wenn der Versicherer in Kenntnis der gesetzlichen Regelung von der Möglichkeit der Anpassung keinen Gebrauch gemacht habe.

Dem Versicherer sei es weiterhin möglich, eine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles gemäß § 81 Abs. 2 VVG oder eine Gefahrerhöhung gemäß §§ 23 ff VVG geltend zu machen.

Welche Folgen eine Obliegenheitsverletzung, welche zur Sanktionslosigkeit führt, für die Versicherungspraxis hat, ist noch nicht absehbar und bleibt abzuwarten.

Sarah Appelrath

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