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Kein einseitiges Recht des Versicherers zum Tarifwechsel

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BGH, Urt. v. 09.05.2012 – IV ZR 1/11 = NJW 2012, 2733

Für den Versicherer gibt es nicht viele Möglichkeiten den Versicherungsnehmer nachträglich abweichend von dem vertraglich vereinbarten Tarif einzustufen. Dazu muss ihm ein Anspruch auf Vertragsänderung zustehen. Eine derartige Anspruchsgrundlage kann sich grundsätzlich unmittelbar aus dem Versicherungsvertrag selbst ergeben.

Der BGH hat jüngst entschieden, dass allein die Geschlechtsumwandlung eines Mannes zu einer Frau den privaten Krankenversicherer nicht berechtigt, vom vertraglich vereinbarten Männertarif in den Frauentarif einzustufen. Ob unterschiedliche Krankenversicherungstarife mit Geschlechtsdifferenzierung und die Ausnahmeregelung des § 20 Abs. 2 S. 1 AGG vor Art. 3 Abs. 2 GG Bestand haben, hat der BGH offengelassen. Darauf komme es nicht an, da die Regelung selbst bei Verfassungskonformität dem Versicherer nicht das Recht gebe, eine andere Tarifeinordnung vorzunehmen.

Anspruchsgrundlagen für eine Vertragsänderung durch den Versicherer aus dem Transsexuellengesetz (TSG) sind für das Gericht nicht ersichtlich. Das Gesetz regelt die Höhe der Versicherungsprämie nicht. Insbesondere schließt es sich nicht der Meinung der Vorinstanz LG Coburg (Az. 33 S 45/10 – BeckRS 2012, 13541) an. Der Versicherungsnehmer könne sich nicht nach Treu und Glauben darauf berufen, nicht einen Antrag nach § 8 TSG gestellt zu haben, um gerichtlich feststellen zu lassen, dass sie nun dem anderen Geschlecht angehört.

Eine Prämienanpassung nach § 203 Abs. 2 VVG finde nur dann Anwendung, wenn es sich um die Regelung innerhalb eines konkreten Tarifs handelt. Ein Tarifwechsel solle dadurch nicht gefördert werden. § 204 VVG hingegen gebe nur dem Versicherungsnehmer ein einseitiges Recht zum Tarifwechsel.

Schließlich beschäftigte sich der BGH mit § 313 BGB als möglicher Anspruchsgrundlage für einen Tarifwechsel. Normativ muss bei der Störung der Geschäftsgrundlage die Risikoverteilung geprüft werden. Der höhere Tarif für Frauen wird mit ihrer hohen Lebenserwartung begründet. Mit der Geschlechtsumwandlung zur Frau ist das Risiko des Versicherers gestiegen. Grundsätzlich hat der Versicherer zwar nach § 25 VVG Deckungsschutz bei nachträglich erhöhtem Risiko gegen Zahlung einer erhöhten Prämie. Jedoch finden diese Regelungen bei der Krankenversicherung nach § 194 Abs. 1 S. 2 BGB keine Anwendung. Der BGH würde nichtsdestotrotz den jetzigen Umstand der Versicherten (Geschlechtsumwandlung aufgrund Transsexualität) als eine von Anfang mitversicherte Krankheit und somit als ein mitversichertes Risiko i.S.d. § 27 VVG ansehen, sodass § 25 VVG nicht zum Zuge kommen würde.

Die Entscheidung verdeutlicht einmal mehr, dass der Versicherer nicht einseitig den Versicherungsvertrag ändern kann. Mit der Zulässigkeit von unterschiedlichen Versicherungsprämien mit Geschlechtsdifferenzierung hat sich der BGH zwar nicht weiter auseinandergesetzt. Eine solche unterschiedliche Behandlung wäre jedoch unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH zur Gender-Richtlinie ab dem 21.12.2012 bei Neuverträgen nicht mehr haltbar. Die Entscheidung war bereits Thema des Blogs.

Hatice Tahtakesen

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