Zum Inhalt springen

Rechtsfolgen kollidierender Subsidiaritätsklauseln

  • von

BGH, Urteil vom 19. Februar 2014 – IV ZR 389/12

Zwei Reiseversicherer hatten mit jeweils identischen Versicherungsnehmern Reiserücktritts- und Reisekrankenversicherungsverträge für dieselben Risiken abgeschlossen. Nach Eintritt der Versicherungsfälle wurde die Beklagte von den Versicherungsnehmern voll in Anspruch genommen. Diese fordert nunmehr für die erbrachten Versicherungsleistungen hälftigen Innenausgleich von der Klägerin nach  §§ 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. bzw. § 78 Abs. 2 Satz 1 VVG n.F. Die Klägerin war jedoch der Meinung, dass sie aufgrund ihrer weiterreichenden Subsidiaritätsklausel nicht ausgleichspflichtig sei. In der von ihr verwendeten Klausel hieß es nämlich:

„Soweit im Versicherungsfall eine Entschädigung aus anderen Versicherungsverträgen beansprucht werden kann, gehen diese Leistungsverpflichtungen vor. Dies gilt auch dann, wenn in einem dieser Versicherungsverträge ebenfalls eine nachrangige Haftung vereinbart ist.“

Die Subsidiaritätsklausel der Beklagten hatte folgendes zum Inhalt:

„Leistungsverpflichtungen aus anderen Versicherungsverträgen gehen der Eintrittspflicht … [des Versicherers] vor. Dies gilt insbesondere für die gesetzlichen Leistungen der Sozialversicherungsträger.“

Der BGH stellte in seiner Urteilsbegründung fest, dass beide Parteien gleichermaßen eintrittspflichtig seien, mithin sei der Subsidiaritätsklausel der Klägerin kein Vorrang beizumessen.

Dies ergebe sich, laut BGH, aus der Auslegung der Klauseln aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers. Maßgeblich sei auf dessen Verständnismöglichkeit und Interesse abzustellen. Auch seien zusätzlich Sinn und Zweck der Klauseln zu berücksichtigen.

Bei Ansicht der Subsidiaritätsklauseln wird ein verständiger Versicherungsnehmer feststellen, dass sie inhaltlich kollidieren. Denn beide Versicherer wollen keine Versicherungsleistungen erbringen, sofern für dasselbe Risiko und den konkreten Fall die andere Versicherung im Versicherungsfall Schutz gewährt. Der Versicherungsnehmer wird dies jedoch nicht dahingehend verstehen, dass der Streit um die Vorrangigkeit der Leistungspflichten zu seinen Lasten ausgetragen werden soll, zumal er an beide Versicherer Prämien zahlt. Vielmehr wird der Versicherungsnehmer annehmen, dass eine beidseitige Eintrittspflicht bestehe, die er wahlweise bei dem einen oder anderen Versicherer geltend machen kann. Laut BGH würden sich die kollidierenden Subsidiaritätsklauseln also im Verhältnis zum Versicherungsnehmer aufgrund ihrer Gleichrangigkeit gegenseitig aufheben. Damit kämen die gesetzlichen Regelungen der §§ 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. bzw. § 78 Abs. 2 Satz 1 VVG n.F. zur Anwendung.

Etwas anderes würde ein verständiger Versicherungsnehmer auch nicht aus dem Zusatz der Klausel auf Klägerseite entnehmen. Der Versicherungsnehmer wird nicht verstehen, dass die Klägerin im Sinne einer „doppelten Subsidiarität“ auch dann nicht bereit ist, Versicherungsleistungen zu erbringen, wenn der andere Versicherer ebenfalls unter Berufung auf seine Subsidiaritätsregelung sich für leistungsfrei erklärt. Aufgrund seiner geleisteten Prämienzahlungen und der Zulässigkeit von Doppel- bzw. Mehrversicherung könne der Versicherungsnehmer nicht von einer so weitreichenden Leistungseinschränkung ausgehen. Der Zusatz bestärke vielmehr nur die Geltung der Subsidiaritätsklausel im Falle einer Kollision mit einer anderen Subsidiaritätsklausel. Weiterhin führt der BGH aus, dass auch wenn der von der Klägerin verwendete Zusatz im Sinne einer „doppelten Subsidiarität“ zu verstehen sei, die Klausel eine unwirksame Vereinbarung zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer zu Lasten Dritter darstellen würde. In diesem wie in jenem Fall sind daher beide Parteien gleich eintrittspflichtig. Somit ergibt sich, dass die Beklagte einen Innenausgleichsanspruch gegenüber der Klägerin aus den §§ 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. bzw. § 78 Abs. 2 Satz 1 VVG n.F. hat.

Das Urteil des BGH bestätigt die herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung, dass sich einfache, gleichrangige Subsidiaritätsklauseln aufheben und die Regelungen des § 78 VVG zur Anwendung kommen (so schon LG Hamburg VersR 1978, 933, 935; vgl. unter vielen von Koppenfels-Spies in: Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 78 Rn. 19). Wolle man den Zusatz der Klausel auf Klägerseite im Sinne einer „doppelten Subsidiarität“ auslegen, dürfte die Klausel darüber hinaus an einer etwaigen AGB–Prüfung, insbesondere an § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB scheitern. Danach ist eine Klausel unwirksam, wenn wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so eingeschränkt werden, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. Bei einem Versicherungsvertrag stellt die Absicherung eines bestimmten Risikos und auch die Leistung der vereinbarten Versicherungssumme im Versicherungsfall die Hauptleistungspflichten, mithin „wesentliche Pflichten“, seitens des Versicherers dar (Looschelders/Paffenholz, Versicherungsvertragsrecht, Rn. 63, 67). Würde der Zusatz in der Klausel des Klägers dahingehend auszulegen sein, dass der Versicherer auch dann nicht bereit ist, Versicherungsleistungen zu erbringen, wenn der andere Versicherer ebenfalls unter Berufung auf seine Subsidiaritätsregelung sich für leistungsfrei erklärt, würde gerade die Hauptleistungspflicht und somit der Sinn und Zweck des Vertrages betroffen (vgl. BGH NJW 1985, 914). Auch wenn anzunehmen ist, dass der Versicherungsnehmer seine Versicherungsleistung jedenfalls unter erschwerten Bedingungen erlangen kann, dürfte § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB ebenfalls einschlägig sein. Eine gänzliche Vereitelung des Vertragszwecks ist nämlich für § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht erforderlich (Palandt/Grüneberg, 73. Aufl. § 307 Rn. 34).

Ekaterini Naoumi

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.