Hinweispflicht des Versicherers auf neue Versicherungsbedingungen

OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.06.2008 – 4 U 151/07 = NJW-RR 2009, 246

§ 6 Abs. 4 VVG statuiert eine Beratungspflicht des Versicherers während der Dauer des Versicherungsverhältnisses. Fraglich ist, ob § 6 Abs. 4 VVG auch eine Hinweispflicht des Versicherers umfasst, wenn dieser neue Tarife oder Bedingungen einführt. Nach der alten Rechtslage gab es laut der Rechtsprechung grundsätzlich keine Verpflichtung des Versicherers zur Information über neue Vertragsbedingungen. Das OLG Düsseldorf (OLG Düsseldorf, NJW-RR 2009, 246, 247 f.; OLG Saarbrücken, VersR 1989, 245, 246; so auch für Tarife OLG München, VersR 2005, 1418; kritisch hierzu Voit, VersR 1989, 834, 835) lehnte jüngst eine solche Pflicht, die nur aus einer vertraglichen, dem Gebot von Treu und Glauben entsprechenden Nebenpflicht des Versicherers folgen kann, ab. Es genüge nicht, dass sich aus den neuen Bedingungen einzelne Vorteile für den Versicherungsnehmer ergäben. Ob ein besonderer Grund vorliegt, wenn die Veränderungen ausnahmslos im Interesse des Versicherungsnehmers seien, wurde offen gelassen (vgl. aber OLG Hamburg, VersR 1988, 620; OLG Hamm, VersR 1994, 37, 38; OLG Bamberg, VersR 1998, 833, 834; hierzu kritisch Pohlmann in: Looschelders/Pohlmann, VVG, § 6, Rn. 109). Im Rahmen von Vertragsverhandlungen sollte nach Stimmen aus der Literatur eine Hinweispflicht angenommen werden (Prölss in: Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl. 2004, Vorbem. I Rn. 36). Auch der neu eingeführte § 6 Abs. 4 VVG ist bezüglich dieser Problemstellung nicht eindeutig. Grundsätzlich wird ebenfalls eine Hinweispflicht seitens des Versicherers angenommen, wenn die Parteien über einen neuen Vertrag bzw. über die Änderung oder Verlängerung des alten Vertrages sprechen (Münkel in: Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, § 6 Rn. 39; Pohlmann in: Looschelders/Pohlmann, VVG, § 6 Rn. 109; Franz, VersR 2008, 298, 299). Zur Hinweispflicht s. auch Klimke, Die Hinweispflicht des Versicherers bei Einführung neuer AVB, NVersZ 1999, 449 ff.; Münkel, Hinweispflicht des Versicherers bei Einführung neuer Versicherungsbedingungen, juris-PR-VersR 12/2009 Anm. 2.

Hatice Tahtakesen/Sylvia Wolf

Kündigung von langfristigen Altverträgen nach neuem Recht

Die Amtsgerichte Daun (Urt. v. 16.9.2009, VersR 2009, 1522), Düsseldorf (Urt. v. 17.11.2009 – 21 C 243/09) und Eschweiler (Urt. v. 17.11.2009 – 23 C 6280/09) haben erste Entscheidungen zu § 11 Abs. 4 VVG getroffen. Fraglich war, ob Altverträge, die für die Dauer von mehr als drei Jahren geschlossen worden sind, nach Art. 1 Abs. 1 EGVVG im Jahre 2009 gekündigt werden können, wenn sie bis dahin mindestens drei Jahre gelaufen sind und die dreimonatige Kündigungsfrist eingehalten ist, oder ob die dreijährige Laufzeit gemäß § 11 Abs. 4 VVG frühestens ab dem 1.1.2008 zu laufen begann und damit die Verträge erst zum Ende des 2010 gekündigt werden können. Nach § 11 Abs. 4 VVG kann ein Vertrag, der für die Dauer von mehr als drei Jahren geschlossen worden ist, von dem Versicherungsnehmer zum Schluss des dritten oder jeden darauf folgenden Jahres mit einer drei Monatsfrist gekündigt werden. § 11 Abs. 4 VVG gilt für alle Versicherungsverträge mit Ausnahme der Kranken-, Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung. Für diese Versicherungen sind die Vorschriften §§ 168, 176, 205 VVG lex specialis (Muschner in: Rüffer/Halbach/Schimikowski; hierzu auch Schneider in: Looschelders/Pohlmann, VVG, § 11, Rn. 42.). Altverträge sind nach Art. 1 Abs. 1 EGVVG Verträge, die bis zum 1.1.2008 geschlossen wurden. Eine Entscheidung dieser Streitfrage konnte vom Versicherungsombudsmann nicht herbeigeführt werden (vgl. VersOmbMann, Entscheidung vom 3.4.2009 – 2047/09, r+s 2009, 405 f. = VersR 2009, 913 f.). Nach den genannten Entscheidungen kommt es durch Art. 3 Abs. 3, Abs. 4 EGVVG zu einer Einschränkung des Art. 1 Abs. 1 EGVVG. Das ergäbe sich aus der Auslegung der Vorschriften des EGVVG und des § 11 Abs. 4 VVG sowie dem Sinn und Zweck dieser Vorschriften (vgl. so auch W. T. Schneider, VersR 2008, 859, 863 f.; C. Schneider in: Looschelders/Pohlmann, VVG, § 11, Rn. 49; Funk/Pletsch, VersR 2009, 615, 616 f.; a. A. Versicherungsombudsmann, r+s 2009, 405, 406; Ebers in: Schwintowski/Brömmelmeyer, VVG, § 11, Rn. 51). Deswegen berechnet sich die dreijährige Frist erst ab dem 1.1.2008. Zum Sonderkündigungsrecht auch Funk/Pletsch: Wann ist ein Fünfjahres(alt)vertrag kündbar?, VersR 2009, 615 ff.; Steinbeck/Schmitz-Elvenich: Die vorzeitige Kündigung mehrjähriger Altverträge im Meinungsstreit, VW 2009, 1251-1255; Neuhaus/Kloth/Köther: Neue Frist, alte Verträge – Wann ist ein Altvertrag mit mehrjähriger Laufzeit kündbar?, ZfV 2009, 180 ff.

Sylvia Wolf

Übergangsprobleme bei § 215 VVG

§ 215 VVG ist eine der neuen VVG-Vorschriften, mit denen sich die Gerichte bereits beschäftigt haben. Problematisch war hierbei die Anwendbarkeit der Vorschrift auf Altverträge. Mit § 215 VVG hat der Gesetzgeber einen besonderen Gerichtsstand für Versicherungssachen eingeführt. Regelungsgegenstand ist die örtliche Zuständigkeit. Die sachliche Zuständigkeit bestimmt sich nach den §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG. § 215 VVG ist an § 29c ZPO angelehnt. Zuvor gab es mit § 48 a.F. VVG einen besonderen Gerichtsstand, wenn ein Versicherungsagent als Vermittlungs- oder Abschlussvertreter eingeschaltet wurde. Die Anwendbarkeit des § 215 VVG für Altverträge wird unterschiedlich bewertet. Unter die Altverträge fallen alle Verträge, die bis zum 1. Januar 2008 entstanden sind. Es ist fraglich, ob § 215 VVG bereits von diesem Zeitpunkt an Anwendung findet oder gemäß Art. 1 Abs. 1 EGVVG erst ab dem 1.1.2009 oder gemäß Art. 1 Abs. 2 EGVVG überhaupt nicht. Gegen die Anwendbarkeit spricht nach einer Ansicht, dass sich Art. 1 Abs. 1 EGVVG nur auf das materielle und nicht das prozessuale Recht beziehe. § 215 VVG sei dann ab dem 1.1.2008 anzuwenden (vgl. OLG Saarbrücken, VersR 2008, 1337; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 21.4.2009, NJOZ 2009, 2246, 2246 f.; LG Stendal, Beschluss vom 30.4.2009, NJOZ 2009, 2668; Fricke, VersR 2009, 15, 20; Looschelders, in: Langheid/Wandt, VVG, Bd. 3, § 215, Rn. 38 ff.; Pohlmann/Wolf, in: Looschelders/Pohlmann, § 215, Rn. 11; Schneider, VersR 2008, 859, 861). Nach anderer Ansicht erfasst die Übergangsregelung des Art. 1 Abs. 1 EGVVG auch § 215 VVG (vgl. Abel/Winkens, r+s 2009, 103 ff.; HK-Muschner, § 215, Rn. 4; Klär, in: Schwintowski/Brömmelmeyer, § 215, Rn. 16). Die Vorschrift sei bei Altverträgen für Versicherungsfälle bis zum 31.12.2008 nicht anwendbar. Dieser Ansicht entsprechend sind auch die meisten obergerichtlichen Entscheidungen ergangen (vgl. OLG Jena, OLGR Jena 2009, 83, 85; OLG Stuttgart, VersR 2009, 246; OLG Hamm, r+s 2009, 403, 404, OLG Hamburg, VersR 2009, 531; OLG München, NJOZ 2009, 1210; OLG Hamm, Beschluss vom 8.5.2009 – 20 W 4/09, NJOZ 2009, so auch LG Berlin, VersR 2009, 368; LG Mannheim, Urt. v. 10.11.2008, Az: 5 O 235/08). Anwendbarkeit des § 215 VVG für das Jahr 2008 offengelassen, aber bejahend ab dem 1.1.2009 (OLG Köln, NJW-RR 2009, 1543, 1544).

Sylvia Wolf

Entscheidung des LG Münster zur Quotenbildung

LG Münster, Urteil vom 20.08.2009 – 15 O 141/09 = VersR 2009

Das LG Münster hat mit Urteil vom 20. 8. 2009 (15 O 141/09), abgedruckt in VersR 2009, 1615-1617, eine der ersten veröffentlichten Entscheidungen zur Quotenbildung nach § 81 Abs. 2 VVG n. F. getroffen. Die Entscheidung betrifft die Leistungskürzung in der Kaskoversicherung nach einem Rotlichtverstoß. Das Gericht wendet sich zu Recht gegen die in der Literatur vertretene Auffassung, die grobe Fahrlässigkeit führe – sofern der Versicherungsnehmer keine entlastenden Umstände vorträgt – grundsätzlich zur vollen Leistungsfreiheit des Versicherers. Das Gericht folgt auch nicht dem Vorschlag, bei der Kürzung von einem generellen „Einstiegswert“ von 50 % auszugehen (so etwa Langheid, NJW 2007, 3665, 3669; dagegen auch Schmidt-Kessel, in: Looschelders/Pohlmann, VVG, § 81 Rn. 54; Looschelders, ZVersWiss 2009, 13, 27).  Die Quote soll vielmehr nach den Umständen des Einzelfalles bemessen werden, wobei das Gericht ein Modell mit Stufen von 0, 25, 50, 75 und 100 % für sachgemäß hält. Im konkreten Fall kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass eine Leistungsfreiheit von mindestens 50 % angemessen ist. Zum neuen § 81 VVG vgl. auch Looschelders, Schuldhafte Herbeiführung des Versicherungsfalls nach dem neuen VVG, VersR 2008, 1 ff.; Egon Lorenz, Zur quotalen Kürzung der Leistungspflicht des Versicherers bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer, in: Festschrift für Erwin Deutsch, 2009, 855 ff.

Prof. Dr. Dirk Looschelders