BGH: Eingesetzte Bonusmeilen sind von der Reiserücktrittskostenversicherung als Rücktrittskosten zu erstatten

BGH, Urteil vom 1.3.2023 – IV ZR 112/22 = WM 2023, 622

In seinem Urteil vom 1. März 2023 beschäftigte sich der BGH mit der Frage, ob nach § 1 Nr. 1 Buchst. a ABRV in der Reiserücktrittskostenversicherung auch aufgewendete Bonusmeilen zu entschädigen sind, die zur Begleichung der angefallenen Reisekosten eingesetzt wurden.

In dem zugrundeliegenden Sachverhalt beglich der Kläger die Kosten für zwei Flüge mit seinen angesammelten Bonusmeilen aus dem Miles & More-Programm des Flugreiseanbieters. Er war in der Reiserücktrittskostenversicherung seiner Frau mitversichert. Krankheitsbedingt konnte er die Reise jedoch nicht antreten und stornierte diese. Der Reiserücktrittskostenversicherer versagte die Leistung unter Verweis auf die Versicherungsbedingungen. Entgegen der Entscheidungen der vorinstanzlichen Gerichte (LG Wuppertal – 9 S 152/21; AG Wuppertal – 39 C 257/20), die dem Versicherer Recht gaben, entschied der BGH nun zugunsten des Versicherten.

Versichert waren laut Vertrag „bei einem Reisepreis bis zu 3.000 EUR unter anderem die Stornokosten bei Nichtantritt der Reise bis zu 80% des Reisepreises“. Der einbezogene § 1 Nr. 1 Buchst. a ABRV sieht eine Entschädigungspflicht des Versicherers bei Nichtantritt der Reise für die vertraglich geschuldeten Rücktrittskosten vor. Über die Formulierung der „vertraglich geschuldeten Rücktrittskosten“ stritten die Parteien.

Nach Auffassung des Versicherers wie auch der vorinstanzlichen Gerichte seien dem Versicherten keine Rücktrittskosten entstanden. Dies ergebe sich aus der Auslegung des Kostenbegriffs. Demnach seien Bonusmeilen, die nicht auf dem Markt handelbar sind und nicht ge- und verkauft werden können, nicht als Kosten zu bezeichnen.

Ebenso seien die Bonusmeilen als reines Kundenbindungsprogramm auch nicht mit für Zahlungsvorgänge geeignetem E-Geld i.S.d. § 675f BGB und des ZAG zu vergleichen. Vielmehr sei der Prämienflug als eine unentgeltliche Zusatzleistung des Bonusprogramms Miles & More einzuordnen (LG Wuppertal, Urt. v. 10.2.2022 – 9 S 152/21).

Zudem biete eine Eröffnung der Erstattungspflicht eine enorme Täuschungsanfälligkeit zulasten der Versichertengemeinschaft. Die Rückgewähr eines Geldbetrages als Versicherungsleistung infolge eines vorgetäuschten Versicherungsfalls würde die Bonusmeilen entgegen des Charakters als nicht geldwerte Gegenleistung handelbar machen. Hierin sahen die Vorinstanzen ein hohes Missbrauchspotential.

Der Versicherte hielt der Argumentation des Versicherers entgegen, für eine Handelbarkeit spreche bereits die Tatsache der Kostenpflichtigkeit zur Übertragung seiner angesammelten Bonusmeilen auf das Meilenkonto seiner Frau, das zur Reisepreisbegleichung benutzt wurde. Zudem habe er die Bonusmeilen einzig durch die Inanspruchnahme kostenpflichtiger Reiseleistungen durch den Reiseveranstalter erst erwerben können.

Der Argumentation der Vorinstanzen schloss sich der IV. Senat jedoch nicht an. Streitentscheidend für ihn war die Auslegung der AVB nach dem Verständnis des durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs und ohne Zugrundlegung versicherungsrechtlicher Spezialkenntnisse (st. Rspr. des BGH r+s 2019, 647, 649; VersR 2019, 542 Rn. 15; VersR 2017, 1076 Rn. 26). So würde ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer § 1 Nr. 1 Buchst. a ABRV dahingehend auslegen, dass unter den „vertraglich geschuldeten Rücktrittskosten“ die jeweils von ihm konkrete vertragliche Gegenleistung zu verstehen sei. Darunter würde er auch sonstige Vermögenseinbußen verstehen. Ohne Spezialkenntnisse sei für den Versicherungsnehmer eine Beschränkung dieses Begriffs auf Geldzahlungen und handelbare Wirtschaftsgüter nicht ersichtlich.

Die Einschränkung der fehlenden Handelbarkeit würde sich nach Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers auch deshalb nicht ergeben, weil die Bonusmeilen für ihn selbst sehr wohl werthaltig seien, kann er sie doch im Rahmen des Bonusmeilenprogramms als Gegenleistung für Produkte des Reiseanbieters einsetzen.

Ein weiteres Argument für die Entscheidung des Senats war der Zweck der Reiserücktrittskostenversicherung: Der Versicherte wolle sich gegen Unwägbarkeiten und finanzielle Risiken absichern, die mit der Buchung einer Reise lange im Voraus einhergehen (Benzenberg in Looschelders/Pohlmann, 3. Auflage 2017, Anh. N Rn. 101; Steinbeck in MAH Versicherungsrecht, 5. Auflage 2022, § 30 Rn. 27). Die Abfederung dieses Risikos umfasse auch sämtliche getätigten sonstigen Aufwendungen, die infolge des krankheitsbedingten Nichtantritts der Reise nutzlos geworden sind (vgl. auch BGH VersR 2017, 1012 Rn. 25).

Dem vorgetragenen Schutzbedürfnis der Versichertengemeinschaft vor Missbrauch durch Vortäuschen des Versicherungsfalls hielt der BGH entgegen, dass ein Wille zur Beschränkung des Leistungsversprechens für diesen Fall in den Versicherungsbedingungen nicht zum Ausdruck komme.

Das Verfahren wurde vom BGH zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Über die konkrete Höhe der auszuzahlenden Bonusmeilen muss damit noch entschieden werden. Einmal mehr stärkt der BGH den Schutz des Versicherten durch die restriktive Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen.

Wilko Gerber

BGH: Der Begriff „Erdrutsch“ umfasst auch eine visuell nicht wahrnehmbare Bewegung von Gesteinsmassen

BGH, Urteil vom 9.11.2022 – IV ZR 62/22 = NJW 2023, 366

Mit dem Urteil des IV. Zivilsenats des BGH vom 9. November 2022 wurde eine umstrittene Frage rund um die Absicherung von Elementarschäden im Bereich der Elementar- sowie Wohngebäudeversicherung geklärt. Streitgegenstand war die genaue Definition der Anforderung eines Erdrutsches aus versicherungsvertragsrechtlicher Sicht. Hierbei handelt es sich um einen Streitstand, der bereits in Rechtsprechung und Literatur ausgetragen wird.

I. Sachverhalt des Urteils

Das versicherte Grundstück des Klägers liegt am Rande einer aufgeschütteten Terrasse. Im Jahr 2018 zeigte dieser bei dem beklagten Versicherer eine Rissbildung an seinem Wohnhaus und seiner Terrasse an. Diese sei durch nicht augenscheinlich wahrnehmbare Rutschungen des Untergrundes von wenigen Zentimetern pro Jahr entstanden. Die daraus entstehenden Beseitigungskosten möchte der Kläger als Vorschuss aus seiner Wohngebäudeversicherung (WGB F 01/08) geltend machen. Der Versicherungsschutz deckt Schäden durch Elementargefahren, darunter Erdrutsche, ab. Einen Erdrutsch definieren die WGB F 01/08 in K7:

„Erdrutsch ist ein naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen.“

In den Vorinstanzen (LG Bamberg, Urt. v. 18.3.2021 – 41 O 301/20; OLG Bamberg, Urt. v. 27.1.2022 – 1 U 127/21) war der Kläger erfolglos. Das Berufungsgericht lehnte das Leistungsbegehren mit der Begründung ab, es fehle bereits an einem Erdrutsch, da dieser gerade einen sinnlich wahrnehmbaren Vorgang beschreibe, der vorliegend nicht gegeben sei.

II. Der Streitstand in Rechtsprechung und Literatur

Im Wesentlichen geht es also darum, ob ein Erdrutsch versicherungsrechtlich eine sinnlich wahrnehmbare Bewegung des Erdreichs erfordert oder bereits ein allmähliches Vonstattengehen ausreichend ist. Ein Erdrutsch wird in den Bedingungswerken allgemein als ein naturbedingtes Abrutschen oder Abstürzen von Erd- oder Gesteinsmassen der Erdoberfläche definiert (Günther in Langheid/Wandt, VVG, Band 3 2. Teil 3. Kapitel Elementarschadenversicherung Rn. 76; Schneider in MAH VersR, § 6 Wohngebäudeversicherung Rn. 127). Eine genaue Umschreibung des Abrutschens oder Abstürzens fehlt hingegen. Aus der Rechtsprechung und Literatur gehen hierzu im Wesentlichen zwei Ansätze hervor.

1. Erdrutsch als sinnlich wahrnehmbares Ereignis

Teils, wie es auch im vorliegenden Fall das Berufungsgericht vertritt, werden die Begriffe als schnelle und zeitlich umgrenzte Erdbewegung verstanden, sodass der Erdrutsch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer wahrnehmbar sein muss (LG Bamberg,Urt. v. 18.3.2021 41 O 301/20 = r+s 2021, 276, vgl. Schneider in MAH VersR, § 6 Wohngebäudeversicherung Rn. 131). Ein sich langsam ablösender Erdteil, gleich welcher Größe, werde erst dann zum Erdrutsch, wenn sich ganze Teile lösen und in Bewegung geraten (OLG Düsseldorf, Urt. v. 12. 7. 1983 – 4 U 247/82 = r+s 1986, 14; LG Bamberg, Urt. v. 18.3.2021 41 O 301/20 = r+s 2021, 276).

Dafür spreche der Wortlaut „Rutschen“, der zwar keine Plötzlichkeit fordere, doch jedenfalls eine nicht unwesentliche Erdbewegung (LG Bamberg, Urt. v. 18.3.2021 41 O 301/20 = r+s 2021, 276; Günther in Langheid/Wandt, VVG, Band 3 2. Teil 3. Kapitel Elementarschadenversicherung Rn. 77a). Der durchschnittliche und verständige Versicherungsnehmer interpretiere ein Rutschen schließlich nicht als allmählichen, länger andauernden und nicht wahrnehmbaren Vorgang (LG Bamberg, Urt. v. 18.3.2021 41 O 301/20 = r+s 2021, 276; Günther in Langheid/Wandt, VVG, Band 3 2. Teil 3. Kapitel Elementarschadenversicherung Rn. 77a). Sonst sei das Ereignis schließlich mit Worten wie „Kriechen“, „Bewegen“ oder „Verlagern“ zu beschreiben, die eine langsame und beständige Bewegung umschreiben (LG Bamberg, Urt. v. 18.3.2021 41 O 301/20 = r+s 2021, 276). Insbesondere die Geologie verwende für solche Vorgänge den Begriff des „Erdkriechens“ (OLG Bamberg, Urt. v. 27.1.2022 – 1 U 127/21).

Auch aus dem Vergleich mit anderen versicherten Elementarschäden, wie Lawinen, Überschwemmungen oder Vulkanausbrüche, erkenne der durchschnittliche Versicherungsnehmer, dass nur ein wahrnehmbares und zeitlich begrenztes Ereignis versichert sei (LG Bamberg,Urt. v.18.3.2021 41 O 301/20 = r+s 2021, 276; vgl. zur Erdsenkung OLG Nürnberg, Urt. v. 18. 6. 2007 8 U 2837/06 = r+s 2007, 329).

2. Erdrutsch als auch allmähliche, nicht sinnlich wahrnehmbare Bewegung

Andere verstehen unter einem Erdrutsch bereits ein allmähliches Bewegen des Erdreichs über einen größeren Zeitraum (OLG Koblenz, Beschl. V. 3.2.2014 – 10 U 1268/13 = VersR 2015, 67). Auf eine Wahrnehmbarkeit der Erdbewegung durch den Versicherungsnehmer wird mithin verzichtet. Dieser Auffassung schließt sich auch der BGH im gegenständigen Urteil an.

Maßstab für die Auslegung von Versicherungsbedingungen sei nach etablierter Rechtsprechung die Perspektive eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs (vgl. BGH, Urteil vom 01.04.2015 – IV ZR 104/13 = VersR 2015, 617; BGH, Urteil vom 04.11.2020 – IV ZR 19/19 = VersR 2021, 21). Insoweit müsse bei der Auslegung der Versicherungsklauseln der alltägliche Sprachgebrauch berücksichtigt werden, sodass ein Verweis auf den Begriff „Erdkriechen“ der Geologie als unzulässiger Prüfungsmaßstab nicht herangezogen werden könne. Stattdessen erkenne der Versicherungsnehmer, dass der Begriff des Erdrutsches die Komponenten „Abstürzen“, im Sinne einer plötzlichen Bewegung, und „Abgleiten“ von Gesteinsmassen, eine Form des Haftverlustes mit Seitwärts- und Bergabbewegung, umfasse. Letztere Alternative sei gerade keine plötzliche oder sinnlich wahrnehmbare Erdbewegung. Gegenteiliges könne der Versicherungsnehmer insbesondere mangels Klarstellung in den Versicherungsbedingungen nicht erkennen. Auch aus der Definition des Erdrutsches als Bewegung von „Gesteins- oder Erdmassen“ müsse der Versicherungsnehmer nicht schlussfolgern, dass eine gewisse Geschwindigkeit erforderlich sei. Einen Kriechvorgang dürfe er mithin als umfasst ansehen.

Der systematische Vergleich des Berufungsgerichtes zu den übrigen versicherten Risiken, die ihrer Natur entsprechend häufiger plötzlich eintreten, sei nicht passend, da eine gleiche Auslegung des Erdrutsches nicht zwingend sei. Insbesondere gehe aus den Bedingungen nicht hervor, dass – mit Ausnahme des Vulkanausbruchs – die versicherten Naturereignisse gerade eine solche Plötzlichkeit voraussetzen.

Zwar hätte der BGH am 19. November 1956 (II ZR 217/55, VersR 1956, 789) den Begriff des Erdrutsches eng ausgelegt. Doch betreffe diese Entscheidung Risikoausschlussklauseln, die eng auszulegen und nicht vergleichbar mit primären Leistungsbeschreibungen seien.

III. Fazit

Der BGH hat also seinen Standpunkt zu einem lange ungeklärten Streit dargelegt. Seine Auslegung hält sich streng an die gefestigten Auslegungsprinzipien Allgemeiner Versicherungsbedingungen. Nach diesen schlussfolgert der Gerichtshof, dass eine sinnliche Wahrnehmbarkeit oder Plötzlichkeit der Erdbewegung nicht erforderlich und somit der Begriff „Erdrutsch“ weit auszulegen sei.

Luca Kupies

BGH: Die Formulierung „unerwartete und schwere“ Erkrankung in den Bestimmungen einer Reiseversicherung verstößt als primäre Leistungsbeschreibung nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB

BGH, Urteil vom 19.10.2022 – IV ZR 185/20 = VersR 2022, 1585

Der IV. Zivilsenat hatte sich in seinem Urteil vom 19. Oktober 2022 damit zu befassen, ob eine Klausel mit der Formulierung „unerwartete und schwere“ Erkrankung in den Allgemeinen Bestimmungen einer Reiseversicherung einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB zugänglich ist und ob sie dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB genügt.

Im zugrundeliegenden Sachverhalt standen sich ein eingetragener Verein i.S.v. § 4 UKlaG als Kläger und ein Reiseversicherer als Beklagter gegenüber. Der Beklagte verwendete in einer Reise-Rücktrittsversicherung und einer Reiseabbruch-Versicherung folgende Klausel:

3. Welche Ereignisse sind versichert?

1. Unerwartete und schwere Erkrankung, Tod, Unfallverletzung oder Schwangerschaft; […]

Der Kläger hält die Formulierung „unerwartete und schwere “ Erkrankung gemäß § 307 Abs. 1 BGB für unwirksam. Er forderte gemäß § 1 UKlaG, dass der Beklagte sich bei bereits abgeschlossenen Verträgen nicht mehr auf die vorgenannte oder inhaltsgleiche Art von Bestimmungen berufen darf, sofern dies nicht gegenüber einem Unternehmen im Sinne des § 14 BGB erfolgt. Ferner wurde darauf geklagt, dass auch beim Abschluss zukünftiger Verträge dieser Art die gerügte Klausel nicht mehr genutzt wird.

Wie bereits die Vorinstanz entschied der IV. Zivilsenat, dass ein Anspruch auf Unterlassung der beanstandeten Formulierung aus § 1 UKlaG zu verneinen ist.

Die Klausel könne unter anderem nicht wegen einer unangemessenen Benachteiligung des Versicherungsnehmers gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam sein. Es handele sich nämlich um eine primäre Leistungsbeschreibung i.S.v. § 307 Abs. 3 S. 1 BGB, welche einer Inhaltskontrolle überhaupt nicht unterliege. Der BGH führte aus, dass das Hauptleistungsversprechen des Versicherers aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers nur bestimmt werden könne, wenn Kenntnis über den gewährten Versicherungsschutz bestehe (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1994 – IV ZR 107/93). Dieser hänge wiederum maßgeblich von den versicherten Ereignissen ab (vgl. BGH, Urteil vom 26. September 2007 – IV ZR 252/06; BGH, Urteil vom 26. März 2014 – IV ZR 422/12), weswegen die Bestimmung „unerwartete und schwere“ Erkrankung zum Kern der Leistungsbeschreibung in einer Reiseversicherung gehöre. Zwar werde von Teilen der Literatur angenommen, dass nur die „Erkrankung“ die tatsächliche Leistungsbeschreibung darstellt und die Merkmale der Unerwartetheit und Schwere diese insofern lediglich einschränken (vgl. Dörner in Prölls/Martin, VVG 31. Aufl., VBRR 2008/2018 Abs. 2 Ziff. 2 Rn. 6; Staudinger in Staudinger/Halm/Wendt, Fachanwaltskommentar Versicherungsrecht 2. Aufl., 2 VB-Reiserücktritt 2008 Rn. 6). Ein solches Vorgehen werde nach dem BGH aber nicht dem Grundsatz der Privatautonomie gerecht, nach welchem es Versicherungsnehmern und Versicherern freigestellt sei, den gewährten Versicherungsschutz zu bestimmen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Oktober 2017 – III ZR 56/17). Ferner sei auch für den Versicherungsnehmer erkennbar, dass der Versicherer regelmäßig nur Schutz gegen künftige ungewisse Ereignisse biete und die Bezeichnung „Erkrankung“ für sich allein noch nicht das Hauptleistungsversprechen beschreiben könne.

Das Leistungsversprechen des Versicherers weiche auch nicht gemäß § 32 S. 1 VVG von §§ 19 ff. VVG ab. Dies sei allenfalls denkbar, wenn es sich bei dem Formulierungsteil „unerwartete“ nicht um einen Bestandteil des Hauptleistungsversprechens, sondern um eine sekundäre Risikobegrenzung handele (so Staudinger in Staudinger/Halm/Wendt, Fachanwaltskommentar Versicherungsrecht 2. Aufl., 2 VB-Reiserücktritt 2008 Rn. 6; Dörner in Prölls/Martin, VVG 31. Aufl., VBRR 2008/2018 Abs. 2 Ziff. 2 Rn. 22 f.), welche bei Vertragsschluss dem Versicherungsnehmer unbekannte Gefahrumstände erfasse. Eine solche liege hier aber gerade nicht vor, da der Versicherer nur „unerwartete“ Erkrankungen überhaupt in sein Leistungsversprechen aufgenommen habe. Ein weitergehendes Risiko für „erwartete“ Erkrankungen als mögliche Gefahrumstände im Sinne von § 19 Abs. 1 S. 1 VVG sei hier gerade nicht abgedeckt.

Des Weiteren verstößt die beanstandete Formulierung „unerwartete und schwere“ Erkrankung laut dem BGH auch nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Die Formulierung „unerwartet“ bedeute, dass etwas überraschend, also plötzlich und unvorhergesehen auftritt. Es sei demnach im Wege einer subjektiven Auslegung allein auf die positive Kenntnis oder Vorstellung des Versicherungsnehmers abzustellen (Staudinger in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl., § 41 Rn. 102; vgl. Benzenberg in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Auflage, Anhang N Rn. 116). Diese subjektive Auslegung der Formulierung sei für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer auch erkennbar. Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer sei bewusst, dass der Versicherer gerade keine Personen versichert, die bereits bei Vertragsschluss oder bei Antritt der Reise Kenntnis über diese Erkrankungen haben. Für eine Erkennbarkeit der subjektiven Auslegung spreche auch, dass die in den Reisebestimmungen enthaltenen Ausschlussklauseln ebenfalls schwerpunktmäßig auf die Kenntnis des Versicherungsnehmers abstellen.

Die Formulierung „schwer“ beziehe sich erkennbar auf „Erkrankung“ und bedeute, dass sie erheblich, gravierend oder von einigem Gewicht sei. Hierbei sei eine vergleichende, objektive Betrachtung erforderlich (Benzenberg in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Auflage, Anhang N Rn. 115; Dörner in Prölls/Martin, VVG 31. Aufl., VBRR 2008/2018 Abs. 2 Ziff. 2 Rn. 9), bei der die persönlichen Befindlichkeiten des Versicherungsnehmers nicht berücksichtigt werden. Der BGH führte aus, dass für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nach Durchsicht der Versicherungsbestimmungen erkennbar sei, dass eine „schwere“ Erkrankung vorliege, wenn sie zu einer Unzumutbarkeit des Reiseantritts oder der Reisefortsetzung führt. Auch sei ersichtlich, dass die Erheblichkeit der Erkrankung vom Leistungs- und Anforderungsprofil der Reise abhänge, also immer eine Einzelfallbetrachtung erforderlich sei.

Abschließend entschied der BGH, dass beide Klauseln auch nicht überraschend im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB seien, da der Versicherungsnehmer bei einer Reiseversicherung damit rechnen müsse, Versicherungsschutz nur für ungewisse Ereignisse mit bestimmter Intensität zu erhalten.

Durch das Urteil stärkt der BGH Reiseversicherer in der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe in allgemeinen Versicherungsbestimmungen. Dies ist im Hinblick auf den zivilrechtlichen Grundsatz der Privatautonomie begrüßenswert. Das Ergebnis ist auch interessengerecht, da sich der durchschnittliche Versicherungsnehmer bei Abschluss einer Reiseversicherung gerade für unvorhersehbare und erhebliche Ereignisse absichern möchte. Insofern ist für ihn erkennbar, dass sich der Versicherungsschutz auch nur auf solche Fälle beschränkt.

Versicherungsnehmern bleibt insoweit also zu empfehlen, sich vor Abschluss einer Reiseversicherung eingehend mit den einzelnen Leistungsbeschreibungen auseinanderzusetzen und auftretende Unklarheiten durch umgehende Nachfrage beim Versicherer oder externe rechtliche Beratung zu beseitigen.

Lennart Struß

BGH: Die Anerkenntniserklärung in einer Berufsunfähigkeitsversicherung kann rückwirkend für einen abgeschlossenen Zeitraum nicht mit Befristung gemäß § 173 Abs. 2 S. 1 VVG abgegeben werden

BGH, Urteil vom 23.2.2022- IV ZR 101/20 = VersR 2022, 500-503

In seinem Urteil vom 23.2.2022 entschied der IV. Zivilsenat, dass eine Befristung des Anerkenntnisses in der Berufsunfähigkeitsversicherung nach § 173 Abs. 2 S. 1 VVG für einen zurückliegenden Zeitraum unwirksam sei. Hiervon könne auch nicht durch AVB abgewichen werden, da dies eine nachteilige Abweichung gem. § 175 VVG darstelle.

Allerdings stellte der BGH in diesem Urteil fest, dass eine Klausel in der BUV, die ein einmalig zeitlich begrenztes Anerkenntnis bis zu zwölf Monaten in Textform erlaubt, nicht gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB verstoße, sofern ein begründeter Einzelfall vorliege. Das gelte auch, wenn nach der jeweiligen BUV eine Berufsunfähigkeit schon nach einem kürzeren Prognose- oder Erkrankungszeitraum vorliegen könne.

Im zugrundeliegenden Sachverhalt forderte eine medizinische Fachangestellte von ihrer BUV Zahlung von Versicherungsleistungen und Beitragsrückzahlungen in Höhe von rund 40.000 €. Grund hierfür war ein Bandscheibenvorfall Anfang 2013. Nachdem der Versicherer nur eine vom 1.7.2015 bis 29.2.2016 bestehende Berufsunfähigkeit bestätigte und für diesen Zeitraum befristet leistete, klagte die Versicherungsnehmerin vor dem LG Potsdam auf weitergehende Versicherungsleistungen. Hierzu führte die Klägerin an, dass ein befristetes Anerkenntnis für einen zurückliegenden abgeschlossenen Zeitraum nicht möglich sei und die Leistungsfreiheit des Versicherers mithin erst durch ein Nachprüfungsverfahren erreicht werden könne. Entgegen der Vorinstanzen (LG Potsdam, Urteil vom 19.6.2019 – 2 O 90/18 und OLG Brandenburg, Beschluss vom 25.3.2020 – 11 U 106/19) bestätigte der BGH dies und wies die Sache an das Berufungsgericht zurück.

Hiermit entschied der BGH die in Literatur und Rechtsprechung thematisierte Streitfrage, ob ein rückwirkend befristetes Anerkenntnis in der BUV zulässig sei. Diese Frage ist insbesondere deshalb praktisch hochrelevant, weil bei einem befristeten Anerkenntnis nach Ablauf der Frist die Beweislast beim Versicherungsnehmer, jedoch bei einem unbefristeten Anerkenntnis die Beweislast für die Leistungsfreiheit beim Versicherer liegt (vgl. Lücke,in: Prölss/Martin, VVG, 31. Auflage, § 174, Rn. 2).

Für die Möglichkeit zur Befristung eines rückwirkenden Anerkenntnisses sei anzuführen, dass das bedingungsgemäße Nachprüfungsverfahren nicht unterlaufen werden könne (Neuhaus, in: Schwintowski/Brömmelmeyer, Praxiskommentar zum VVG, 4. Auflage, § 173, Rn. 27). Insbesondere wenn der Versicherungsnehmer schon vor dem Anerkenntnis wieder berufsfähig sei, fehle es an dessen Schutzwürdigkeit. Würde der Versicherer dennoch rückwirkend nur ein unbefristetes Anerkenntnis aussprechen können, so stünde er vor der großen Hürde des Nachprüfungsverfahrens, das mit der Beweislastumkehr und den hohen formellen Anforderungen an die Einstellungsmitteilung einherginge. Zudem würden dadurch auch die Versicherungsnehmer geschützt, die sich zum Zwecke der Erlangung eines unbefristeten Anerkenntnisses bewusst erst gegen Ende der Berufsunfähigkeit beim Versicherer melden (OLG Bamberg, Beschluss vom 30.6.2021 – 1 U 493/20, Rn. 11; OLG Brandenburg, Beschluss vom 25.3.2020 – 11 U 106/19; Klenk, in: Looschelders/Pohlmann, VVG, 3. Auflage, § 173, Rn. 13).

Jedoch spreche gegen die Möglichkeit des rückwirkend befristeten Anerkenntnisses, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Möglichkeit zur Befristung eines Anerkenntnisses gem. § 173 Abs. 2 S. 1 VVG bestehe, um in zweifelhaften Fällen bis zu einer abschließenden Klärung zunächst eine befristete Leistungspflicht zu ermöglichen (BT-Drucks. 16/3945 S. 106). Liege der Sachverhalt in der Vergangenheit und sei die Prüfung der Berufsfähigkeit schon abgeschlossen, so bestünde keine Unsicherheit über die Leistungspflicht des Versicherers. Mithin läge dann kein zweifelhafter Fall vor. Zudem zeige der Zusammenhang mit § 173 Abs. 2 S. 2 VVG, dass das befristete Anerkenntnis ausschließlich auf die Zukunft gerichtet sei, denn dessen Schutzzweck, dass ein befristetes Anerkenntnis nicht während seiner Dauer zulasten des Versicherungsnehmers aufgehoben werden kann, betone die Zukunftsgerichtetheit des Anerkenntnisses. Zudem sei zu beachten, dass der Versicherungsnehmer in der Berufsunfähigkeitsversicherung durch die Lohnersatzfunktion der Leistungen besonders schutzwürdig sei und somit der § 173 Abs. 2 VVG nur restriktiv Anwendung finden solle (vgl. Lücke,in: Prölss/Martin, VVG, 31. Auflage, § 173, Rn. 17). Zuletzt seien auch die Interessen des Versicherers hinreichend berücksichtigt, da ein (unbefristetes) Anerkenntnis mit einer Nachprüfungsentscheidung verbunden werden könne, wenn die Berufsunfähigkeit zum Zeitpunkt seiner Entscheidung bereits wieder entfallen sei (vgl. BGH, Urteil vom 19.11.1997 – IV ZR 6/97).

Aus diesen Gründen sprach sich der BGH gegen die Zulässigkeit eines rückwirkenden befristeten Anerkenntnisses aus. Für die Beklagte bedeutete dies im zugrundeliegenden Sachverhalt, dass ihre Zahlungseinstellung zum 29.2.2016 unwirksam war. Vor Beendigung der Leistungspflicht hätte die Beklagte die Berufsunfähigkeit der Klägerin im Wege des Nachprüfungsverfahrens prüfen müssen. Die zur Einleitung des Nachprüfungsverfahrens erforderliche Mitteilung, dass die Leistungspflicht wieder enden solle (sog. Änderungsmitteilung), vgl. § 174 Abs. 1 VVG, hatte die Beklagte wegen ihrer gegenteiligen Rechtsauffassung allerdings unterlassen. Jedoch können bei einem in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt Anerkenntnis und Nachprüfungsentscheidung miteinander verbunden werden (vgl. BGH, Urteil vom 19.11.1997 – IV ZR 6/97 = VersR 1998, 173). So konnte vorliegend die unwirksame Befristung des Anerkenntnisses in eine Änderungsmitteilung des Versicherers gem. § 140 BGB umgedeutet werden und seine Leistungspflicht endete gem. § 174 Abs. 2 VVG drei Monate nach Zugang der Mitteilung.

Der BGH überzeugte mit seiner Argumentation. Durch seine umfassende Auseinandersetzung mit dem Streitgegenstand und die durchdachte Entkräftung aller gängigen Argumente, die für die Zulässigkeit einer rückwirkenden befristeten Anerkennung sprechen, wird es schwer sein, nach diesem Urteil noch eine andere Auffassung zu vertreten.

Für die Versicherungsnehmer wurde durch dieses Urteil ein weiter zeitlicher Rahmen geschaffen, um die Berufsunfähigkeit beim Versicherer zu melden. Hierbei sollte der Zeitraum aber trotz des neuen Urteils nicht zu weit ausgereizt werden. Der BGH hat bewusst offengelassen, ob die Unzulässigkeit des rückwirkenden befristeten Anerkenntnisses auch für die Fälle gilt, in denen der Versicherungsnehmer die Versicherungsleistungen erst nach Ende der Berufsunfähigkeit beantragt, um die Leistungspflicht des Versicherers durch eigenes Verhalten zu verlängern.

Versicherer sollten zur künftigen Vermeidung von Risiken bei einem rückwirkenden Anerkenntnis das nur für einen gewissen Zeitraum gelten soll, der (unbefristeten) Anerkenntniserklärung gem. § 173 Abs. 1 VVG eine Änderungsmitteilung beifügen.

Kim Syben

BGH: Betriebsschließungsversicherungen auf Grundlage der „Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) – 2008 (ZBSV 08)“ decken keine Betriebsschließung aufgrund SARS-CoV-2

BGH, Urteil vom 26.1.2022 – IV ZR 144/21 = ZIP 2022, 270-276

Am 26.1.2022 urteilte der IV. Zivilsenat über die in Gegenwart der SARS-CoV-2-Pandemie umstrittenen Auslegung der AVB einer Betriebsschließungsversicherung hinsichtlich der versicherten Krankheitserreger. Er stellte klar, dass die abschließend verfassten AVB-Klauseln SARS-CoV-2 nicht umfassen und kein Anspruch auf Entschädigung aus der Betriebsschließungsversicherung bestehe.

Gegenstand war die Klage eines Gaststättenbetreibers aus Schleswig-Holstein auf Leistung aus seiner Betriebsschließungsversicherung, die diesem gem. § 3 Nr. 1 lit. a ZBSV 08 einen Ertragsausfall bis zu einer Haftzeit von 30 Tagen gewähren sollte. Der Kläger musste seine Gaststätte aufgrund der SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung der Landesregierung am 18.3.2020 schließen und konnte lediglich einen Lieferdienst anbieten. So begehrt der Wirt Leistungen von der Versicherung, scheiterte jedoch vor dem LG (LG Lübeck, Urteil vom 8.1.2021 – 4 O 164/20) und der Berufungsinstanz (OLG Schleswig, Urteil vom 10.5.2021 – 16 U 25/21). Die Gerichte stützten sich bei der Begründung insbesondere darauf, dass § 2 Nr. 2 lit. a, b ZBSV 08 SARS-CoV-2 nicht auflistet.

Zugrunde lagen dem Urteil folgende Bedingungen der ZBSV 08:

§ 2 Versicherte Gefahren

1.   Versicherungsumfang – Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (s. Nr. 2)

a.    den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; […]

2.   Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen sind die folgenden, im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:

a.    Krankheiten: …

b.    Krankheitserreger: …“

Der BGH legte hier die Grundsätze zur Auslegung von AVB an, den Maßstab eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers (vgl. BGH, Urteil vom 14.7.2021 – IV ZR 153/20).

Zunächst stellt er, entgegen der Berufungsinstanz, klar, dass nach Wortlaut und Systematik des § 2 Nr. 1 ZBSV 08 keine intrinsische Infektionsgefahr vorliegen müsse (so auch OLG Celle, Urteil vom 18.11.2021 – 8 U 123/21).

Allerdings schlussfolgert der BGH in Übereinstimmung mit der Berufungsinstanz, dass SARS-CoV-2 nicht vom Versicherungsschutz umfasst sei. § 2 Nr. 1 lit. a Hs. 1 ZBSV 08 nenne „meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger“, die sich aus dem Katalog des § 2 Nr. 2 ZBSV 08 ergäben, der abschließend sei und nicht SARS-CoV-2 aufliste (so auch OLG Nürnberg, Urteil vom 15.11.2021 – 8 U322/21; Günther VersR 2021, 1141). Damit lehnt der Senat die teils vertretenen Auffassung einer beispielhaften, dynamischen Verweisung in die §§ 6, 7 IfSG (vgl. LG Darmstadt, Urteil vom 10.3.2021 – 26 O 145/20; Armbrüster VersR 2020, 577, 583) ab. Der in § 2 Nr. 1 ZBSV 08 eingefügte Klammerzusatz „(s. Nr. 2)“ nehme ausdrücklich auf den Katalog Bezug, der wiederum „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen […]“ bestimme und so eine eigenständige Definition der versicherten Gefahren biete (so auch OLG Hamburg, Urteil vom 16.7.2021 – 9 U199/20). Es seien nur „die folgenden“ Krankheiten und Erreger abschließend versichert, sodass Zusätze wie „zum Beispiel“ oder „unter anderem“ (Fortmann ZfV 2020, 300, 301) nicht erforderlich seien. Mithin sei der Versicherungsschutz auf die begrenzte Auflistung beschränkt (vgl. auch OLG Bremen, Urteil vom 16.9.2021 – 3 U 9/21; Günther VersR 2021, 1141, 1143). Die Umschreibung „namentlich“ könne insbesondere nicht im Sinne von „vor allem“ verstanden werden (vgl. auch OLG Celle, Urteil vom 08.7.2021 – 8 U 61/21).

Zwar sei ein umfassender Versicherungsschutz im Interesse des Versicherungsnehmers, doch habe der Versicherer kein Interesse an der Deckung später in das IfSG aufgenommener Krankheiten (vgl. OLG Bremen, Urteil vom 16.9.2021 – 3 U 9/21). Auch ein Vergleich zum Prionenausschluss gem. § 4 Nr. 3 ZBSV 08 lasse aufgrund dessen klarstellender Bedeutung keinen Schluss auf einen offenen Katalog zu (vgl. OLG Bremen, Urteil vom 16.9.2021 – 3 U 9/21; a.A. Fortmann, r+s 2020, 665, 666).

Auch einer Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB halte die Bestimmung stand. Entgegen der Berufungsinstanz stünden die Klauseln einer Kontrolle nach § 307 III 1 BGB offen, da § 2 Nr. 2 ZBSV 08 entsprechende Hauptleistungsversprechen als wesentlichen Vertragsinhalt beschreibe.

Zwar seien Formulierungen wie z.B. „ausschließlich“ verständlicher, doch werde der abschließende Charakter in Anbetracht des Transparenzgebotes gem. § 307 I 2 BGB hinreichend deutlich. Es sei erschließbar, dass der Versicherungsumfang in Nr. 2 konkretisiert werde, wie es die Überschrift „2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger“ verdeutliche (so auch OLG Koblenz, Urteil vom 28.7.2021 – 10 U 259/21; Günther VersR 2021, 1141, 1143 f.). Die Inbezugnahme des IfSG ändere daran nichts (a.A.: Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, 31. Auflage, AVB BS 2002 Rn. 12). Eine Unangemessenheit der Regelungen gem. § 307 I 1, II BGB könne sich weder aus § 307 II Nr. 1 BGB, mangels gesetzlichen Leitbildes in § 1a VVG oder dem IfSG, noch aus einer Gefährdung des Vertragswerks gem. § 307 II Nr. 2 BGB, mangels den Vertragszweck aushöhlender Beschränkungen, ergeben. Auch fehle es an einer unangemessenen Benachteiligung iSd § 307 I 1 BGB, da die Einschränkungen in § 2 Nr. 2 einem anerkannten Interesse des Versicherers dienen würden.

Mit diesem Urteil hat der BGH seine Auffassung zu einer in der Literatur und Rechtsprechung thematisierten Streitfrage dargelegt, die insbesondere seit den Betriebsschließungen der verschiedenen Lockdowns in Deutschland an Bedeutung gewonnen hat. Der IV. Zivilsenat hat sich der vorherrschend vertretenen Auffassung angeschlossen. Dieses Urteil kann nun als Leitentscheidung für die noch laufenden Rechtsstreitigkeiten dienen.

Luca Kupies

Weiterführende Informationen finden Sie in unserer Rechtsprechungssammlung zur Sars-CoV-2-Pandemie und in diesem Beitrag.