BGH: Wohngebäude-Versicherer muss nicht für Wasserschaden wegen undichter Fuge zwischen Duschwanne und angrenzender Wand einstehen

BGH, Urteil vom 20.10.2021 – IV ZR 236/20

In seinem Urteil vom 20.10.2021 beschäftigte sich der IV. Zivilsenat ausführlich mit der Auslegung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen eines Wohngebäude-Versicherers. In dem zugrundeliegenden Sachverhalt kam es aufgrund der Undichtigkeit einer Silikonfuge im Duschbereich einer Wohnung zu einem Wasserschaden in einem versicherten Gebäude.

Die maßgebliche Passage der streitgegenständlichen AVB (Teil A § 3 Nr. 3 Satz 2 VGB 2008) konkretisiert die Versicherungsleistungen für Nässeschäden durch Leitungswasser. Sie bestimmt, dass das Leitungswasser aus Rohren der Wasserversorgung oder damit verbundenen Schläuchen, den mit diesem Rohrsystem verbundenen sonstigen Einrichtungen oder deren wasserführenden Teilen ausgetreten sein müsse.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH seien AVB so auszulegen, „wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht“ (zuletzt: BGH, Urteil vom 4.11.2020 – IV ZR 19/19, VersR 2021, 21 Rn. 8).Nachdem ein VN seine Aufmerksamkeit zunächst auf die Bedingungen zu „Nässeschäden“ gelenkt habe, werde er feststellen, dass bei undichten Fugen das Wasser nicht aus Rohren der Wasserversorgung oder damit verbundenen Schläuchen austrete. In Betracht werde er dagegen die Variante ziehen, dass Wasser aus „den mit diesem Rohrsystem verbundenen sonstigen Einrichtungen“ ausgetreten sein könnte.

Damit war der BGH am Kern des Auslegungsproblems – dem Begriff der sonstigen Einrichtungen – angelangt. Nach Ansicht der Vorinstanz (OLG Bamberg, Entscheidung vom 27.8.2020 – 1 U 14/20) sei dieser Begriff „abstrakt und weit gefasst“ und deshalb so auszulegen, dass jeglicher bestimmungswidrige Wasseraustritt erfasst werde, solange es sich nur um wasserführende, mit dem Rohrsystem fest verbundene Gegenstände handele. Dies sei bei einer undichten Fuge an einer Duschwanne der Fall, welche über den Ablauf mit dem Rohrsystem fest verbunden sei. Es handele sich dabei um den Austritt von Wasser aus dem sich im Gebäude befindlichen Wasserkreislauf, worauf bei funktionaler Betrachtung abzustellen sei (für eine solche Einbeziehung der Dusche als Sachgesamtheit: Hoenicke, in: Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess 4. Aufl. § 4 Rn. 94; Martin, Sachversicherungsrecht 3. Aufl. E I Rn. 36; Rüffer, in: HK-VVG 4. Aufl. VGB 2016; differenzierend Günther, r+s 2018, 63, 64; vgl. zu Durchgängen in einer gefliesten Wand OLG Naumburg r+s 2019, 203 Rn. 16 f.; OLG Frankfurt VersR 2010, 1641).

Nach den Ausführungen des Senats könne dieser Auffassung nicht gefolgt werden.

Der maßstabsbildende VN werde zunächst – der Definition des Dudens entsprechend – annehmen, dass eine Einrichtung eine (technische) Vorrichtung oder Anlage sei, wobei diese mit dem Rohrsystem der Wasserversorgung verbunden sein müsse. Hinsichtlich einer undichten Fuge werde der VN mangels Verbindung mit der Wasserversorgung diese Voraussetzungen jedoch verneinen. Ein weitergehendes Verständnis dergestalt, dass die Dusche mitsamt Duschwanne, Fugen und angrenzenden Wänden als Sachgesamtheit eine einheitliche Einrichtung bilde, werde der VN aufgrund fehlender Hinweise im Wortlaut der AVB ausschließen. Eine solche von der Vorinstanz angenommene funktionale Betrachtung unter Einbeziehung der Sachgesamtheit „Dusche“ distanziere sich zu stark vom Wortlaut der AVB, welcher auf konkrete Gegenstände abstelle und daher keine mittelbare bzw. vermittelte Verbindung vorsehe.

Der BGH bekräftige seine Einschätzung ferner mit der Überlegung, dass räumlich nicht mehr abgrenzbare Einzelfälle entstehen könnten wie etwa bei seitlich offenen Duschkabinen oder Gemeinschaftsduschräumen (vgl. auch OLG Saarbrücken VersR 2019, 353; OLG München r+s 2017, 527 Rn. 1). Zu dieser Erkenntnis werde auch ein VN kommen und dadurch in der Überzeugung bestärkt, eine Sachgesamtheit könne nicht unter den Begriff der „sonstigen Einrichtung“ i.S.d. AVB fallen. Eine Täuschung des durchschnittlichen VN in der bestehenden Erwartung an lückenlosem Versicherungsschutz (vgl. BGH, Urteil vom 12.7.2017 – IV ZR 151/15, VersR 2017, 1076 Rn. 13 m.w.N.) bestehe ferner nicht.

Die Einschätzung des BGH, der maßstabsbildende VN werde die AVB nicht so verstehen, dass von ihr die Sachgesamtheit „Dusche“ als sonstige Einrichtung umfasst werde, beinhaltet argumentative Schwächen. Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen entgegen der Auffassung des Gerichts auch bei Einbeziehung einer Sachgesamtheit nicht, weil der größere räumliche Bereich aufgrund seiner funktionalen Verbindung mit dem Wasserkreislauf (bestimmungsgemäßes in Berührung kommen mit dem Wasser) gleichwohl abgrenzbar bleiben dürfte. Es käme nur zu einem erweiterten Versicherungsschutz. Gleichzeitig entstehen durch das Erfordernis der unmittelbaren Rohrverbindung (Rn. 14 a.E.) anderweitige Abgrenzungsprobleme: Ist die Duschwanne selbst nicht auch nur über den jeweils angebrachten Abfluss und damit nur mittelbar mit dem Rohr verbunden? Gleichzeitig begründet der vom BGH nicht behandelte Wortlaut der AVB „mit diesem Rohrsystem verbundenen sonstigen Einrichtungen oder deren wasserführenden Teilen“ eine Stütze für die Einschätzung, eine Einrichtung könne auch eine Sachgesamtheit sein. Damit wäre eine eingehendere Begründung der Auslegung wünschenswert gewesen.

Die nun höchstrichterlich ergangene Entscheidung zur Abdeckung von Schäden aufgrund undichter Fugen bestärkt jene Versicherer, die eine Regulierung in diesen Fällen ablehnen. Der BGH verdeutlichte, dass es bei der Frage, welche „sonstigen Einrichtung“ von den AVB umfasst werden, auf ihre unmittelbare Rohrverbindung ankomme. Die zuvor bestandene Rechtsunsicherheit ist damit zumindest bezüglich dieser oder ähnlicher AVB-Ausgestaltungen aufgelöst. Vor dem Hintergrund dieses Urteils ist es Versicherungsnehmern anzuraten, ihre Aufmerksamkeit für den Zustand von Fugen im Nassbereich merklich zu erhöhen.

Sinan Hatun

BGH: Risikoausschluss einer Sturmflut greift nicht ein, wenn die Schäden nicht unmittelbar durch die Sturmflut verursacht worden sind

BGH, Urteil vom 26. Februar 2020 – IV ZR 239/19

Der BGH hat mit seinem Urteil vom 26. Februar 2020 (IV ZR 239/19) entschieden, dass der in AVB festgelegte Risikoausschluss für Schäden durch Sturmflut in § 8 Nr. 4 a) bb) ECB 2010 nicht eingreift, wenn die Schäden nur als mittelbare Auswirkung einer Sturmflut entstanden sind. Er hält damit an seinem Grundsatz der engen Auslegung von Risikoausschlussklauseln fest.

Im zugrundeliegenden Sachverhalt machte die Eigentümerin eines Hafengrundstücks Ansprüche aus einer erweiterten Gebäudeversicherung geltend. Das Grundstück liegt 16 Kilometer entfernt von der Ostseeküste, mit dem Meer verbunden durch einen Fluss. Versichert war das auf dem Grundstück gelegene Hafenhaus unter anderem gegen Überschwemmungen und Rückstau. Daneben enthielten die AVB eine Risikoausschlussklausel bei Schäden durch Sturmflut.

Im Januar 2017 richtete Sturmtief „Axel“ am Haus der Klägerin einen Wasserschaden im fünfstelligen Eurobereich an. Die starken auflandigen Winde des Tiefs verursachten enorme Wasserstände an der Küste. Durch diese Sturmflut und die Enge des Fließgewässers konnte das Wasser nicht in ausreichender Menge in die Ostsee abfließen. Das Wasser staute sich in der Folge flussaufwärts und überschwemmte das Grundstück der Klägerin. Die Beklagte lehnte jegliche Leistung mit Hinweis auf die AVB und den Risikoausschluss Sturmflut ab.

Nachdem schon die Gerichte der Vorinstanz zugunsten der Klägerin entschieden hatten (z. B. KG Berlin r+s 2019, 588), lehnte nunmehr auch der BGH die Revision des Versicherers ab. Der Senat begründete diese Entscheidung damit, die Überschwemmung des Grundstücks sei nicht unmittelbar auf die Sturmflut zurückzuführen. Vielmehr habe die Sturmflut nur das Abfließen des aus dem Inland kommenden Wassers verhindert und dieses habe den Schaden verursacht. Ein solch weitgreifender Ursachenzusammenhang sei mangels ausdrücklicher Regelung von der Ausschlussklausel nicht umfasst gewesen. 

Zu diesem Ergebnis führte den BGH, dass der tatbestandliche Umfang der Risikoausschlussklausel nicht hinreichend bestimmt und daher durch Auslegung zu ermitteln gewesen sei. Dabei sei maßgeblich, „wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht“. Die größte Bedeutung bei der Auslegung fiel somit dem Wortlaut der Klausel zu. Soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar waren, durften auch Zweck und Sinnzusammenhang berücksichtigt werden (St. Rspr. des BGH r+s 2019, 647, 649; VersR 2019, 542 Rn. 15; VersR 2017, 1076 Rn. 26). Den Begriff der Sturmflut definiert der BGH nach dem allgemeinen Sprachgebrauch als ein durch auflandigen Sturm bewirktes, außergewöhnlich hohes Ansteigen des Wassers an Meeresküsten und in Flussmündungen (http://brockhaus.de/ecs/enzy/article/sturmflut [zuletzt besucht am 28.04.2020]; Hoenicke in Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess 4. Aufl. 2020, § 4 Rn. 230).

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird den Schaden einer durch inlandiges Wasser verursachten Überflutung demnach nicht als ausgeschlossen ansehen, auch wenn sich in 16 Kilometern Entfernung eine Sturmflut ereignet hat. Anders wäre dies zu beurteilen, wäre durch die Sturmflut Meereswasser in den Fluss hineingedrückt worden (vgl. Jula in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. 2012, § 5 VHB 2010 A Rn. 33), was aber nicht der Fall war.

Die teleologische Auslegung der Klausel bringt den Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse zu demselben Ergebnis: Der Versicherer möchte Naturkatastrophen von nicht beherrschbarem Ausmaß ausschließen. Als solcher Fall sei die Flussüberschwemmung aus Sicht eines Versicherungsnehmers nicht zu sehen. Der Senat betont, dies hätte einer Klarstellung seitens des Versicherers bedurft.

Durch das Urteil betont der Senat wie schon bisher die enge Auslegung von Risikoausschlussklauseln (VersR 2019, 542 Rn. 26; VersR 2012, 1253 Rn. 20). Der Umfang des Versicherungsschutzes soll durch Ausschlussklauseln nicht mehr verkürzt werden, als dies für den Versicherungsnehmer erkennbar sei. Der Versicherungsnehmer soll sich beim Studieren der AVB auch ohne Anwendung juristischer Auslegungsmethoden zweifelsfrei über den Umfang und die Begrenzungen seiner Versicherungsleistungen informieren können. Risikoausschlüsse bedeuten für den Versicherungsnehmer, der sich durch seine Versicherung geschützt glaubt, oftmals existenzbedrohende Überraschungen. Insofern ist das Urteil aus Sicht des Verbraucherschutzes begrüßenswert.

Wilko Gerber