BGH, Urteil vom 11. Januar 2012 – IV ZR 251/10
Der Versicherer kann bei grob fahrlässiger Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer in Ausnahmefällen die Leistung komplett versagen, so etwa bei absoluter Fahruntüchtigkeit eine Kürzung auf null vornehmen. Allerdings muss eine Abwägung der Umstände im Einzelfall erfolgen (Fortführung von Senatsurteil vom 22.06.2011 – IV ZR 225/10, VersR 2011,1037).
Für § 81 Abs. 2 VVG ist die Frage der Möglichkeit einer Leistungskürzung auf null in Ausnahmefällen durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22. Juni 2011 geklärt. Die Entscheidung war bereits Thema des Blogs.
Dort hat der Senat entschieden, dass die in § 81 Abs. 2 VVG geregelte Rechtsfolge, wonach der Versicherer berechtigt ist, “seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen”, einer vollständigen Versagung der Leistung in Ausnahmefällen nicht entgegen stehe. Allerdings bedürfe es dabei stets einer Abwägung der Umstände des Einzelfalles.
In einer aktuellen Entscheidung führt der BGH seine Rechtsprechung fort und weitet seine Überlegungen aus.
Weder der Wortlaut der Norm noch dessen Entstehungsgeschichte stehen einer Leistungskürzung auf null entgegen. Auch der vom Gesetzgeber mit der Aufgabe des Alles-oder-Nichts-Prinzips verfolgte Gesetzeszweck führe nicht zur Unzulässigkeit der vollständigen Leistungsfreiheit. Unter anderem gelte dies in den Fällen, in denen sich der Schweregrad der groben Fahrlässigkeit dem Vorsatz annähere.
Diese Grundsätze gelten ebenso für die Regelung des § 28 II VVG, welcher hinsichtlich der Rechtsfolgen einen identischen Wortlaut aufweist.
Der Einwand fehlender Transparenz gemäß § 307 I BGB bei der vertraglichen Regelung der Leistungskürzung in AKB, mit der Folge der Unwirksamkeit, greife nicht durch. Dieser Regelung, welche im Kern lediglich den Gesetzeswortlaut des § 81 II VVG wiedergebe, könne der durchschnittliche Versicherungsnehmer entnehmen, dass eine Leistungskürzung auf null in Fällen grober Fahrlässigkeit nicht ausgeschlossen sei.
Der BGH ist in dem hier entschiedenen Fall bei der Abwägung aller Umstände des Einzelfalles zu einer Leistungskürzung auf Null gelangt. Kriterien, die er dabei zugrunde gelegt hat, waren die deutlich über der Grenze des für die absolute Fahruntüchtigkeit maßgeblichen Grenzwertes von 1,1 Promille liegende Promilleanzahl. Weiterhin, dass das Führen in einem alkoholbedingten fahruntüchtigen Zustand zu den schwersten Verkehrsverstößen überhaupt zähle. Auch könne berücksichtigt werden, ob die alkoholbedingten Ausfallerscheinungen die alleinige Schadenursache seien.
Sarah Appelrath