Klausel in einer Warenkreditversicherung über die Anrechnung von nach Beendigung des Versicherungsschutzes beim VN eingehenden Beträgen auf die jeweils älteste offene Forderung gegenüber dem Kunden ist unwirksam

BGH, Urteil vom 22.01.2014 – IV ZR 343/12 und IV ZR 344/12 = BeckRS 2014, 03234 und BeckRS 2014, 03031

Der Anbieter einer Warenkreditversicherung verwendete in seinen Allgemeinen Versicherungsbedingungen folgende Klausel:

„Beträge, die nach Beendigung des Versicherungsschutzes gemäß § 2 Nr. 4 AVB eingehen, werden, unabhängig von abweichenden Tilgungsbestimmungen, grundsätzlich auf die jeweils älteste offene Forderung angerechnet.“

Mit dieser Vorschrift wollte der Versicherer vermeiden, dass der Versicherungsnehmer einen eingetretenen Forderungsausfall durch besondere Verrechnungsvereinbarungen mit seinem Kunden aufrechterhält, um eine möglichst hohe Versicherungsleistung zu erlangen.

Der BGH stellte fest, dass der Regelungsgehalt dieser Anrechnungsklausel weit über die intendierte Zielsetzung hinausgehe. Nach ihrem Wortlaut lasse die Klausel alle Leistungen an den Versicherungsnehmer aus seinen gesamten Rechtsbeziehungen zum betreffenden Kunden einer Anrechnung anheimfallen. Auch aus dem Zweck und der systematischen Stellung der Vorschrift ergebe sich, dass der Versicherer sämtliche Leistungen des betreffenden Kunden ungeachtet ihres Zwecks oder Rechtsgrundes dazu heranziehen will, um seine Leistungspflicht aus dem Versicherungsverhältnis nachträglich zu verringern. Eine Beschränkung der Verrechnungsmöglichkeit auf in versicherter Zeit begründete Forderungen könne der Klausel nicht entnommen werden.

In dieser weiten Auslegung halte die Vorschrift der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht stand und führe zugleich zu einer partiellen Aushöhlung des Vertragszwecks im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB.

Zu diesem Ergebnis gelangte der BGH nach einer umfassenden Interessenabwägung. Er räumte der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit des Versicherungsnehmers gegenüber dem Interesse einer Risikobegrenzung seitens des Versicherers den Vorrang ein. Eine uneingeschränkte Anrechnung jeglicher Zahlungen auf die versicherte Forderung habe zur Folge, dass der Versicherungsnehmer durch neu erbrachte Leistungen, für die er bereits selbst das Ausfallrisiko trägt, überdies seinen Versicherungsschutz schrittweise selbst abbaut und die Leistungspflicht des Versicherers ausräumt. Will der Versicherungsnehmer einer solchen mittelbaren Abwälzung der Leistungspflicht entgehen, habe er nach Auffassung des BGH nur die Möglichkeit, die Geschäftsbeziehung zu dem betroffenen Kunden einzustellen. Dies stelle für ihn eine unangemessene Benachteiligung dar.

Ferner wies der BGH darauf hin, dass einer einschränkenden Auslegung der Klausel das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion entgegenstehe.

Dennoch sei der Versicherer kollusiven Absprachen zwischen Versicherungsnehmer und seinem Kunden keineswegs schutzlos ausgeliefert. Ihm bleibe es unbenommen, Leistungsfreiheit wegen Verstoßes des Versicherungsnehmers gegen die in § 82 Abs. 1 VVG geregelte Schadenminderungsobliegenheit geltend zu machen (näher hierzu Langheid/Wandt/Looschelders § 82 Rn. 34 ff.)

Tim Hofer

Besonderheiten bei einer Mahnung nach § 39 Abs. 1 VVG a.F. (§ 38 Abs. 1 VVG) bei Mehrheit von Versicherungsnehmern, die dieselbe Wohnadresse haben

BGH, Urteil vom 8.01.2014 – IV ZR 206/13

Der Bundesgerichtshof setzte sich in seinem Urteil vom 8. Januar 2014 (IV ZR 206/13) mit der Frage auseinander, ob bei Mehrheit von Versicherungsnehmern, die unter derselben Adresse wohnhaft sind, eine Mahnung wegen Zahlungsverzugs mit einer Folgeprämie nach § 39 Abs. 1 VVG a.F. für jeden Versicherungsnehmer gesondert erfolgen müsse, oder ob eine an alle Versicherungsnehmer adressierte Mahnung ausreiche.

Folgender Sachverhalt lag der Streitfrage zu Grunde. Der Kläger und seine Lebensgefährtin schlossen mit der Beklagten eine Risikolebensversicherung für verbundene Leben ab. Beide waren jeweils Versicherungsnehmer sowie versicherte Person. Mit einem an beide gerichteten Schreiben vom 29. Juni 2008 forderte die Beklagte die Versicherungsnehmer auf, ihren Beitragsrückstand binnen 2 Wochen zu begleichen. Die Beklagte werde sonst bei Fristablauf von ihrem Kündigungsrecht nach § 39 VVG Gebrauch machen. Das Schreiben nahm der Kläger entgegen. Ohne dass die rückständigen Prämien gezahlt wurden, verstarb am 18. Juli 2008 die Lebensgefährtin des Klägers. Dieser begehrte nunmehr Zahlung aus dem eingetretenen Versicherungsfall.

Der BGH stellte in seiner Urteilsbegründung fest, dass die Mahnung der Beklagten unwirksam sei. Trotz derselben Adresse müsse eine Fristsetzung wegen Zahlungsverzugs mit einer Folgeprämie für jeden Versicherungsnehmer in einem gesonderten Schreiben erfolgen. Aufgrund der weitreichenden Folgen des § 39 VVG a.F. bestehe eine besondere Schutzwürdigkeit für jeden Versicherungsnehmer. Deshalb wurden seit jeher (vgl. Urteil vom 15. Juni 1961 – II ZR 11/59 zu § 12 Abs. 3 VVG a.F.) strenge Anforderungen sowohl an den Inhalt des Mahnschreibens, als auch an die zu mahnenden Personen gestellt. Ein gesondertes Mahnschreiben sei darüber hinaus auch deswegen erforderlich, um einer Missbrauchsgefahr oder Nachlässigkeit auf Seiten des anderen Versicherungsnehmers möglichst vorzubeugen. Dieser Ansicht würden auch nicht die Wertungen des § 130 BGB entgegenstehen. Zwar sei der Lebensgefährtin des Klägers das Schreiben mit Einlegen in den Briefkasten zugegangen. Da aber eine tatsächliche Kenntnisnahme keine Wirksamkeitsvoraussetzung für den Zugang sei, müsse als Ausgleich zumindest das Mahnschreiben an jeden Versicherungsnehmer einzeln erfolgen, damit eine möglichst weitgehende Gelegenheit zur Kenntnisnahme und Begleichung der rückständigen Prämien erfolgen könne.

Laut BGH sollen die Ausführungen auch für den neuen § 38 VVG gelten. Damit überzeugt die Entscheidung aus Versicherungsnehmerschutzgesichtspunkten schon zum alten Recht und bestätigt den Grundgedanken des neuen VVG nach einem erweiterten Versicherungsnehmerschutz.

Ekaterini Naoumi