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Zur Bestimmung des Eintritts eines Rechtsschutzfalles beim Schadensersatzrechtsschutz und verstoßabhängigen Rechtsschutz

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BGH Urteil vom 30. April 2014 – IV ZR 47/13

Die Voraussetzungen für den Eintritt des Versicherungsfalles in der Rechtsschutzversicherung haben eine große praktische Bedeutung. Jüngst befasste sich auch der BGH mit der Frage nach dem Eintritt des Rechtsschutzfalles bei Schadensersatzrechtsschutz und verstoßabhängigem Rechtsschutz.

Der Revisionsentscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin und ihr mitversicherter Ehemann beteiligten sich im März 1999 als atypische stille Gesellschafter an der S. Immobilienanlagen und Vermögensmanagement AG (im folgenden S. AG). Über das Vermögen der S. AG wurde im Jahr 2007 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Klägerin warf der S. AG Betrug, Kapitalanlagebetrug und vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vor, da das zugrundeliegende Anlagekonzept nach dem Steigermodell (vgl. dazu BGH, Urteil vom 21. März 2005; WM 2005, 838) von Beginn an nicht tragfähig gewesen sei.

Schadensersatzpflichtig hätten sich nach Ansicht der Klägerin auch die für die S. AG tätigen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften gemacht. Für die gerichtliche und außergerichtliche Geltendmachung dieser Schadensersatzansprüche verlangte die Klägerin von der Beklagten Deckungsschutz aus einem am 1. Februar 1999 abgeschlossenen und am 1. Februar 2011 gekündigten Rechtsschutzversicherungsvertrag mit den zugrundeliegenden Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen von 1994. Die Parteien stritten unter anderem darüber, ob der Rechtsschutzfall in versicherter Zeit eingetreten ist.

Dreh- und Angelpunkt der Streitigkeit ist die Auslegung des § 4 ARB 94. In diesem heißt es unter anderem:

„§ 4 Voraussetzungen für den Anspruch auf Rechtsschutz

1)  Anspruch auf Rechtsschutz besteht nach Eintritt eines Rechtsschutzfalles

a) im Schadensersatz-Rechtsschutz gem. § 2 a) von dem ersten Ereignis an, durch das der Schaden verursacht wurde oder verursacht worden sein soll;

c) in allen anderen Fällen von dem Zeitpunkt an, in dem der Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen hat oder begangen haben soll.

Die Voraussetzungen nach a) bis c) müssen nach Beginn des Versicherungsschutzes gemäß § 7 und vor dessen Beendigung eingetreten sein.“

Die Beklagte machte geltend, dass die rechtsschutzfallbegründenden Schadensereignisse nach § 4 Abs. 1 Satz 1 a) ARB 94 die Produktentwicklung, falsche Testierungen, und weitere Unterstützungshandlungen der Wirtschaftsprüfer- und Beteiligungsgesellschaften gewesen seien. Diese Handlungen hätten sich schon Jahre vor dem Abschluss des Rechtsschutzversicherungsvertrages im März 1999 und vor der Beteiligung der Eheleute an der S. AG im Februar 1999 ereignet, sodass ein Vorversicherungsfall vorliegen würde.

Die Ansicht der Beklagten hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Bezugnehmend auf Looschelders/Paffenholz (ARB-Kommentar [2014] § 4 ARB 2010 Rn. 14) führt der BGH aus, dass die von § 4 Abs. 1 Satz 1 a) ARB 94 geforderte Anknüpfung an das erste Kausalereignis bei wortlautgetreuer Auslegung die „Gefahr einer uferlosen Rückverlagerung“ in sich berge. Dies widerspreche die Interessen des Versicherungsnehmers, da so der Versicherungsschutz unterlaufen werden könne und überdies gegen § 307 BGB verstoßen würde. Der BGH konkretisiert, dass nur solche Ursachen ein rechtsschutzfallbegründendes Ereignis nach § 4 Abs. 1 Satz 1 a) ARB 94 darstellen, die zurechenbar und nach der Lebenserfahrung hinreichend wahrscheinlich zu einem Schadensersatzanspruch des Versicherungsnehmers führen könnten (grundlegende Leitentscheidung des Senatsurteils vom 25. September 2002; VersR 2002, 1503). Für den Eintritt des Versicherungsfalles sei auf den Tatsachenvortrag abzustellen, mit dem der Versicherungsnehmer seinen Schadensersatzanspruch begründet, wobei es laut BGH nicht auf die Schlüssigkeit und Beweisbarkeit des Vortrags ankommen soll (so auch Looschelders/Paffenholz, ARB-Kommentar [2014] § 4 ARB 2010 Rn. 18).

Auch bei § 4 Abs. 1 Satz 1 c) ARB 94 komme es nach gefestigter Rechtsprechung für den Eintritt des Versicherungsfalles auf die vorgeworfene Pflichtverletzung und den dazugehörigen Tatsachenvortrag an (grundlegend Senatsurteil vom 28. September 2005; VersR 2005, 1684; statt vieler Looschelders/Paffenholz, ARB-Kommentar [2014] § 4 ARB 2010; Rn. 45 f.).

Dabei muss in diesem wie in jenem Fall das schädigende Verhalten einen „fassbaren Bezug“ zum Versicherungsnehmer haben. Das Erstereignis könne also nur ein solches sein, das sich auf die Rechtsgüter des Versicherungsnehmers auszuwirken vermag. Fehle ein derartiger Bezug, würde dem Tatsachenvortrag die anspruchbegründende Eignung und somit die Eignung, einen Versicherungsfall auszulösen, fehlen. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass erst mit dem Beitritt der Eheleute in die S. AG durch den Abschluss des Beteiligungsvertrages ein hinreichender Bezug zu dem schädigenden Verhalten der Wirtschaftsprüfungs- und Beteiligungsgesellschaften entstanden sei. Zu diesem Zeitpunkt waren die Klägerin und ihr Ehemann bereits rechtsschutzversichert.

Der einschränkenden Auslegung des § 4 Abs. 1 Satz 1 a) ARB 94 ist zuzustimmen. Insbesondere kann das für die Zurechnung eingrenzende Kriterium der Adäquanz das Problem der weiten Vorverlagerung des Versicherungsfalles nicht lösen. Da nach der Adäquanztheorie nur solche Ereignisse dem Verursacher nicht zurechenbar sind, die außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit liegen, lässt auch die Adäquanztheorie immer noch eine sehr weite Rückgriffsmöglichkeit auf die erste Ursache und damit auf das rechtschutzfallbegründende Ereignis zu (Looschelders/Paffenholz, ARB-Kommentar [2014] § 4 ARB 2010 Rn. 14).

Unklar ist auch die Formulierung in Ziff. 2.4.2 der Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen von 2012, wonach der Versicherungsfall als das erste Ereignis definiert wird, bei dem der Schaden eingetreten ist oder eingetreten sein soll. Ob die nunmehr anderslautende Formulierung (früher: „durch das“) eine engere Auslegung impliziert, ist fraglich. Insoweit dürfte in Anlehnung an die ständige Rechtsprechung des BGH auch in Ziff. 2.4.2 ARB 2012 eine einschränkende Auslegung geboten sein (vgl. zum Meinungsstand Looschelders/Paffenholz, ARB-Kommentar [2014] § 4 ARB 2010 Rn. 14).

Ekaterini Naoumi

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