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Reichweite der Flusskaskoversicherung – Auslegung von Nr. 4.2., 4.4. und 4.8 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen Flusskasko 2000/2004

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BGH, Urteil vom 27.05.2015 – IV ZR 292/13 = BeckRS 2015, 11099

In seiner Entscheidung vom 27. Mai 2015 hat der BGH sich mit der Flusskaskoversicherung befasst (Az. IV ZR 292/13 = BeckRS 2015, 11099). Die Klägerin hatte für ihr Transportmotorschiff (TMS) bei der Beklagten eine Flusskaskopolice abgeschlossen. Der Flusskaskopolice lagen unter anderem die Allgemeinen Versicherungsbedingungen Flusskasko 2000/2004 sowie die dazugehörigen Geschriebenen Bedingungen zugrunde. Die Klägerin begehrte von der Beklagten Deckungsschutz für Schäden infolge eines sich am 18. Oktober 2010 unter Beteiligung des TMS auf der Donau ereigneten Schifffahrtunfalls. Zum Zeitpunkt des Unfalls führte das TMS einen fremden noch nicht vollständig ausgerüsteten und noch nicht mit einem eigenen Antrieb ausgestatteten, aber schwimmfähigen Schiffsrumpf (Neubaukasko) seitlich gekoppelt im Verband mit sich. Der Neubaukasko kollidierte mit einem entgegenkommenden Gütermotorschiff  und wurde dadurch erheblich beschädigt. Ob ein der Klägerin zurechenbares Fehlverhalten bzw. eine unzureichende Beschaffenheit, Ausrüstung oder personelle Ausstattung des Schiffes „die wirksamste Ursache“ für die Kollision waren, konnte nicht sicher festgestellt werden. Vielmehr kamen auch noch zahlreiche andere Schadensursachen in Betracht. Als die Klägerin von einem Dritten auf Ersatz der an dem Neubaukasko entstandenen Schäden in Anspruch genommen wurde, verweigerte die Beklagte jegliche Versicherungsleistung. Vor diesem Hintergrund hatte der BGH zu entscheiden, ob die Beklagte verpflichtet war, die Klägerin von den gegen sie geltend gemachten Schadensersatzansprüchen freizustellen und die bei deren Abwehr entstandenen Rechtsverteidigungskosten zu zahlen. Der BGH hat beide Fragen unter entsprechender Auslegung der einschlägigen Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) bejaht.

Hinsichtlich der Freistellungspflicht argumentierte der BGH in erster Linie damit, dass der Neubaukasko aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers bei verständiger Würdigung und Durchsicht der einschlägigen AVB unter Berücksichtigung des erkennbaren Sachzusammenhanges als ein Fahrzeug i.S.d. Nr. 3 Abs. 4 der Geschriebenen Bedingungen zu den AVB Flusskasko 2000/2004 einzuordnen sei. Insoweit genüge es, dass das Fahrzeug (hier also der Neubaukasko) – dem in der Klausel ausdrücklich benannten Leichter vergleichbar – für das Schieben oder die Mitnahme durch das versicherte Schiff (hier also das TMS) geeignet sei. Auch sei die Deckungsverpflichtung nicht gemäß Nr. 4.8 AVB Flusskasko 2000/2004 ausgeschlossen, wonach ein Ausschluss für Sachen „an Bord des versicherten Schiffes“, nicht aber für solche „neben Bord“ des versicherten Schiffes bestehe. Nichts anderes ergebe sich aus Nr. 10 der Geschriebenen Bedingungen zu den AVB Flusskasko 2000/2004, da auch diese Klausel nicht hinreichend deutlich mache, unter welchen Voraussetzungen unbeladen mitgeführte Fahrzeuge in Abgrenzung zu den in Nr. 3 Abs. 4 der Geschriebenen Bedingungen zu den AVB Flusskasko 2000/2004 genannten Fahrzeugen als „Ladung“ vom Versicherungsschutz nicht umfasst seien.

Unter Übertragung seiner Rechtsprechung zur Seeversicherung entschied der BGH ferner, dass ein Ausschluss der Einstandspflicht des Versicherers nach §§ 137 f. VVG nicht greife, wenn – wie in dem entschiedenen Fall – neben den dort genannten Schadensursachen auch weitere Schadensursachen in Betracht kommen und die in §§ 137 f. VVG genannten Schadensursachen nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit erheblich ursächlich sind („causa proxima“). Die so verstandene Ursächlichkeit habe der Versicherer darzulegen und zu beweisen (zur Beweislast des Versicherers für die Kausalität bei §§ 137 f. VVG und dem insoweit denkbaren Anscheinsbeweis Looschelders/Pohlmann/Paffenholz, VVG-Kommentar, 2. Auflage, 2011, § 137 Rn. 10, § 138 Rn. 8). Des Weiteren stellte der BGH klar, dass die Flusskaskoversicherung ausweislich der insoweit maßgeblichen Nr. 3 Abs. 1 S. 1 der Geschriebenen Bedingungen zu den AVB Flusskasko 2000/2004 auch grob fahrlässig herbeigeführte Drittschäden erfasse.

Zur Ersatzfähigkeit der Rechtsverteidigungskosten führte der BGH aus, dass eine Ablehnung des nach Nr. 4.2 und 4.4 AVB Flusskasko 2000/2004 geschuldeten Rechtsschutzes keine Befreiung des Versicherers von seiner Rechtsschutzverpflichtung bewirke. Vielmehr wandle sich der Anspruch des Versicherungsnehmers auf Rechtsschutz durch den Versicherer in einen Kostenerstattungsanspruch hinsichtlich der Prozesskosten, die dem Versicherungsnehmer infolge der eigenständigen Abwehr der Schadensersatzansprüche entstehen.

Insgesamt ist die Entscheidung sorgfältig begründet. Die Lückenhaftigkeit von Nr. 4.8 AVB Flusskasko 2000/2004 in Bezug auf Sachen die sich nicht „an Bord“, sondern „neben Bord“ befinden, hatte bereits Schmidt in einem Aufsatz herausgearbeitet (VersR 2013, 418, 429). Dem ist der BGH in seiner Entscheidung gefolgt. Zu beachten ist auch, dass der Ausschluss nach Nr. 4.8 AVB wohl nicht zuletzt mit Blick auf den Aufsatz von Schmidt in den aktuell vom GDV empfohlenen AVB Flusskasko 2008/2013 (abrufbar unter: http://www.tis-gdv.de/tis/bedingungen/avb/fluss/fluss.html) präzisiert worden ist (vgl. Bruck/Möller/Hartenstein9 Bd. 6/2, Ziff. 4 AVB Flusskasko 2008/2013 Rn. 18). Danach gilt der Ausschluss auch „für solche Sachen, die sich an Bord einer Einheit befinden, die mit dem versicherten Schiff einen Verband im Sinne des § 104 1. HS BinSchG bildet“. Nicht vom Ausschluss umfasst ist hingegen „der Ersatz für Verlust oder Beschädigung der mit dem versicherten Schiff einen Verband bildenden Einheit selbst“.

Dr. Boris Derkum

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