OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.09.2018 – Az. 4 U 101/17 (VersR 2019, 159; BeckRS 2018, 27354)
Der 4. Zivilsenat des OLG Düsseldorf setzte sich im vorliegenden Urteil mit der Frage auseinander, ob ein in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Vertrauensschadenversicherung (AVB-VSV) verankerter Deckungsausschluss für mittelbare Schäden (un)wirksam ist.
Konkret ging es um die Frage, ob die Verringerung des Unternehmenswertes durch den plötzlichen Weggang mehrerer Mitarbeiter in Schlüsselpositionen, die nach klägerischem Vortrag von zwei ehemaligen Vorstandsmitgliedern abgeworben worden seien, einen Schaden darstellt, der von der Vertrauensschadenversicherung gedeckt ist.
Der Senat ist der Auffassung, dass der erlittene Vermögensschaden von Klägerseite bereits nur unzureichend vorgetragen worden sei. Die bloß pauschale und nicht weiter konkretisierte Behauptung, der Unternehmenswert sei auf null gebracht worden, weil das Unternehmen nach dem Fortgang der Mitarbeiter handlungsunfähig geworden sei, genüge dafür nicht.
Darüber hinaus stelle ein etwaiger Wertverlust ohnehin einen lediglich mittelbaren Schaden dar, der vom beklagten Versicherer gemäß §§ 1 Nr. 1, 5 Nr. 2 AVB-VSV nicht zu ersetzen sei. Nach § 1 Nr. 1 AVB-VSV hat der Versicherer den versicherten Unternehmen die Schäden an ihrem Vermögen zu ersetzen, die von Vertrauenspersonen durch Handlungen, die nach den gesetzlichen Vorschriften über unerlaubte Handlungen zum Schadensersatz verpflichten, vorsätzlich und unmittelbar verursacht werden. Gemäß § 5 Nr. 2 AVB-VSV werden Schäden nicht ersetzt, die mittelbar […] entstehen.
Der Senat führt zunächst aus, dass es eine gesetzliche, von der der Rechtsprechung entwickelte oder in der Literatur anerkannte Definition des Begriffs „mittelbarer Schaden“ nicht gebe. Somit sei dessen Inhalt im Wege der Auslegung zu ermitteln. Danach liege ein unmittelbarer Schaden bei einer primär nachteiligen Einwirkung der Vertrauensperson auf das Vermögensinteresse vor; soweit hieraus weitere Nachteile resultieren, handele es sich um bloß mittelbare Vermögensschäden (Looschelders, VersR 2013, 1069, 1071). Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall stelle der Verlust von Arbeitskräften und Know-How, der bei dem betroffenen Unternehmen bspw. zu Ausgaben für Headhunter führt, einen unmittelbaren Schaden dar, während Auswirkungen auf den Wert des Unternehmens lediglich mittelbarer Natur seien.
Die Haftungsbegrenzungsklausel sei auch nicht unwirksam. Zwar habe der BGH einen Deckungsausschluss für mittelbare Schäden in der Vertrauensschadenversicherung der Notarkammern für unwirksam erachtet (BGH, Urt. v. 20.07.2011 – IV ZR 75/09). Diese Rechtsprechung sei jedoch nicht auf die hier vorliegende Vertrauensschadenversicherung für Unternehmen übertragbar (so auch Looschelders, VersR 2013, 1069, 1071). Der BGH hatte in dem Ausschluss eine Gefährdung der Funktion der Versicherung nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB gesehen, einen der Staatshaftung vergleichbaren Schutz des Geschädigten zu gewährleisten. Denn die Vertrauensschadenversicherung der Notarkammern sei mit der Ausgestaltung als Pflichtversicherung dem Schutz Dritter bestimmt. Der Senat führte hierzu aus, dass es sich bei der Vertrauensschadenversicherung für Unternehmen hingegen um eine freiwillig und im eigenen Interesse abgeschlossene Versicherung handele. Das abzudeckende und abgedeckte Risiko sei für die auf Versicherungsnehmerseite typischerweise stehenden erfahrenen Kaufleute gut zu überblicken. Der Vertragszweck werde durch die Begrenzung auf einen unmittelbaren Vermögensschaden nicht gefährdet, da eine Fülle von Fällen verbliebe, in denen Versicherungsschutz besteht. Außerdem liege auch keine Beschränkung des Deckungsumfangs vor, der von gesetzlichen Vorgaben abweicht (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB), da die Vertrauensschadenversicherung nicht gesetzlich geregelt ist.
Bedenken gegen die Transparenz des Ausschlusses mittelbarer Schäden bestünden ebenfalls nicht. Auch in Ermangelung einer Definition oder Konkretisierung dieses Begriffs in den AVB-VSV sei durch Auslegung der Bedingungen hinreichend sicher zu ermitteln, was unter einem mittelbaren Schaden zu verstehen ist. Auch hier sei wiederum zu berücksichtigen, dass der Versicherungsnehmer ein geschäftserfahrenes Unternehmen ist.
Bei dem Urteil des OLG Düsseldorf handelt es sich um das erste obergerichtliche Urteil zu der Frage der Wirksamkeit des Ausschlusses mittelbarer Schäden im Rahmen der Vertrauensschadenversicherung für Unternehmen. Da das Unmittelbarkeitserfordernis in den vorliegenden AVB-VSV bereits im Rahmen der primären Leistungsbeschreibung (§ 1 Nr. 1) festgeschrieben ist und folglich der Inhaltskontrolle entzogen ist, handelt es sich bei den Ausführungen des Senats zur Wirksamkeit des Risikoausschlusses letztlich um ein obiter dictum. Hier wären eine präzisere Differenzierung zwischen den Klauseln und eine systematischere Prüfung wünschenswert gewesen.
Außerdem hätte die inhaltliche Bestimmung des Begriffs „mittelbarer Schaden“, der in der Literatur viel diskutiert wird, konkreter herausgearbeitet werden können. Nach Ansicht des Verfassers ist das Unmittelbarkeitserfordernis nach dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers dahingehend auszulegen, dass unmittelbare Schäden nur solche sind, die ohne zeitliche Zäsur und ohne Dazwischentreten weiterer Kausalverläufe zu einem Schaden an dem durch die Handlung betroffenen Rechtsgut führen (Hofer, Die Untreue in der Vertrauensschadenversicherung, S. 171).
Zudem ist es nicht stringent, wenn der Senat auf der einen Seite den Verlust von Arbeitskräften als unmittelbaren Schaden ansieht und die Auswirkungen auf den Wert des Unternehmens als mittelbaren Schaden einstuft, auf der anderen Seite aber die Ausgaben für Headhunter wiederum als unmittelbaren Schaden einordnet.
Im Ergebnis ist die Entscheidung aber zu begrüßen. Sie sorgt für Klarheit, da die Wirksamkeit des Risikoausschlusses und die damit verbundene Frage der Übertragbarkeit der BGH-Rechtsprechung in der Literatur bislang umstritten war (vgl. zu dem Streitstand Hofer, Die Untreue in der Vertrauensschadenversicherung, S. 168 ff.). Zudem sorgt das Urteil auch in praktischer Hinsicht für Sicherheit, da die Verankerung des Ausschlusses mittelbarer Schäden in den AVB-VSV sehr weit verbreitet ist.
Dr. Tim Hofer