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BGH: Die Kündigung eines Lebensversicherungsvertrages durch den Versicherungsnehmer beinhaltet nicht regelmäßig zugleich den Widerruf der Bezugsberechtigung auf den Todesfall.

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BGH, Urteil vom 22. März 2023 – IV ZR 95/22 = WM 2023, 810

In seinem Urteil von 22. März 2023 beschäftigte sich der BGH mit der Frage, ob sich aus der Kündigung eines Lebensversicherungsvertrags durch den Versicherungsnehmer stets auch ein Widerruf der Bezugsberechtigung auf den Todesfall ergibt oder ob dies durch Auslegung der Erklärung im Einzelfall zu entscheiden ist.

Im zugrundeliegenden Sachverhalt nahm die Klägerin, eine Versicherungsgesellschaft, die Beklagte auf Rückzahlung des Rückkaufswerts einer Rentenversicherung in Anspruch. Die Beklagte war aufgrund gesetzlicher Erfolge Alleinerbin ihrer Mutter, die bei der Klägerin eine Rentenversicherung gegen Einmalzahlung unterhielt und ihren Lebensgefährten, den Streitverkündeten, als widerruflich Bezugsberechtigten im Todesfall bestimmt hatte.

Die Versicherungsnehmerin erhielt vom Versicherer ab September 2012 eine vierteljährige Rentenzahlung, erklärte im Februar 2019 allerdings schriftlich die Kündigung der Versicherung, woraufhin sie vom Versicherer den Rückkaufswert erstattet erhielt, der ihr einen Tag vor ihrem Tod gutgeschrieben wurde. Im September 2019 zeigte die Beklagte, die die Versicherungsnehmerin beerbte, der Klägerin den Tod ihrer Mutter an und widerrief die zugunsten des Streitverkündeten bestehenden Bezugsrechte. Nach Ansicht der Klägerin könne aus der Kündigung der Versicherungsnehmerin kein Widerruf der Bezugsrechte entnommen werden. Stattdessen habe der Streitverkündete mit Eintritt des Versicherungsfalls den Anspruch auf die Todesfallleistung erworben, weshalb die Klägerin die Rückzahlung des erhaltenen Betrags forderte.

Entgegen der Auffassung der Erstinstanz (LG Stuttgart, Urteil vom 22. April 2021, 2 O 76/20), die der Klage stattgegeben hatte, wies das Berufungsgericht (OLG Stuttgart, Urteil vom 10. Februar 2022 – 7 U 165/21) die Klage mit der Begründung zurück, dass in einer solchen Kündigung, wenn keine gegenläufigen Anhaltspunkte erkennbar seien, in der Regel auch der Widerruf der bestehenden Bezugsberechtigung liege. Denn bei Auslegung (§§ 133, 157 BGB) der Kündigungserklärung des Versicherungsnehmers, begehre dieser regelmäßig die Auszahlung des bestehenden Versicherungswerts an sich und wolle den Wert der Versicherung seinem liquiden Vermögen zuführen. Da das Fortbestehen des Bezugsrechts diesem Ergebnis widerspräche, sei mit der Kündigung der Versicherungsnehmerin auch das Bezugsrecht des Streitverkündeten widerrufen worden.

Das Berufungsgericht folgt damit einer teilweise vertretenen Ansicht, die ihre Argumentation insbesondere auf ein Urteil des IX. Zivilsenats (BGH, Urteil vom 4. März 1993 – IX ZR 169/92) stützt. Hiernach liege im Falle eines Insolvenzverfahrens des Versicherungsnehmers in der Kündigung des Insolvenzverwalters regelmäßig zugleich der Widerruf des Bezugsrechts (Reiff, in: Prölss/Martin, VVG, § 168 Rn. 19).

Nach einer anderen Ansicht könne ein solcher Erfahrungssatz, jedenfalls bei der Kündigung eines Lebensversicherungsvertrags durch den Versicherungsnehmer selbst, jedoch keine Anwendung finden (OLG Köln, Urteil von 29.01.2002 – 3 U 117/01; Patzer, in: Looschelders/Pohlmann, VVG, § 159 Rn. 18).

Dieser Auffassung schloss sich der IV. Senat an. Zwar gehe das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass die Kündigung als empfangsbedürftige Willenserklärung aus Sicht eines objektiven Empfängers gem. §§ 133, 157, 242 BGB auszulegen sei. Eine Auslegung der konkreten Willenserklärung sei aber gerade nicht erfolgt. Vielmehr sei auf einen angenommenen Erfahrungssatz abgestellt worden, den es in dieser Konstellation nicht gebe.

Zum einen liege für den Versicherer das Interesse des Versicherungsnehmers in dessen Todesfall, anders als im Falle eines Insolvenzverfahrens, nicht klar auf der Hand. Von dem Versicherer könne daher, um eine reibungslose und schnelle Abwicklung des Versicherungsfalls zu gewährleisten, nicht erwartet werden, Auslegungsfragen entscheiden zu müssen. Zum anderen könne weder aus dem Wortlaut der Kündigungserklärung noch aus den bekannten Umständen geschlossen werden, dass die Versicherungsnehmerin im Falle ihres Todes nicht mehr den Streitverkündeten finanziell bedenken wolle, da sie gerade zwischen dem Bezugsrecht zu Lebzeiten und dem im Todesfall differenziert habe.

Der BGH teilte somit die Auffassung der Erstinstanz und hob das Urteil des Berufungsgerichts auf. Im Ergebnis sprach sich der IV. Zivilsenat gegen den angenommenen Erfahrungssatz aus und entschied sich für eine Auslegung der Kündigungserklärung im Einzelfall.

Felicitas Sophie Hirscher

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