BGH, Urteil vom 20. Februar 2025 – I ZR 39/24 = VersR 2025, 737
Der BGH entschied in seinem Urteil vom 20. Februar 2025 über die internationalprivatrechtliche Anknüpfung des Direktanspruchs gegen den Versicherer. Im Vordergrund stand dabei der Anwendungsbereich des Art. 18 Rom II-VO und die damit einhergehende Frage nach der rechtlichen Natur des Anspruchs des Geschädigten gegen den Schädiger.
Sachverhalt
Die Klägerin ist alleiniger Verkehrshaftungsversicherer eines Transportunternehmens (nachfolgend bezeichnet als Versicherungsnehmerin der Klägerin). Die Versicherungsnehmerin der Klägerin wurde von einem Spediteur damit beauftragt, Waren von Uelzen nach Nidda-Harb zu befördern. Der Spediteur hatte seinerseits den entsprechenden Auftrag von der Versenderin erhalten. Die Versicherungsnehmerin der Klägerin leitete den Auftrag an den in Polen wohnhaften Beklagten zu 1 weiter. Dessen Haftungsversicherung (Beklagte zu 2) hat ihren Gesellschaftssitz ebenfalls in Polen.
Der Beklagte zu 1 übernahm die Ware in einwandfreiem Zustand, lieferte sie jedoch völlig durchnässt ab, wodurch ein Totalschaden i.H.v. 91.984,65 € entstand.
Der Spediteur wurde daraufhin durch Urteil des Landgerichts Mannheim vom 11. November 2021 zum Schadensersatz an den Versicherer der Versenderin in voller Höhe nebst Zinsen verurteilt.
Die Versicherer des Spediteurs erwirkten dann vor dem Landgericht Mannheim ein Urteil vom 1. Juli 2022, mit dem die Versicherungsnehmerin der Klägerin zur Erstattung des Schadensbetrags verurteilt wurde.
Die Klägerin beglich die Summe und verlangte nun ihrerseits von den Beklagten gesamtschuldnerisch Ersatz.
Nachdem das LG Mannheim (Urteil vom 20. April 2023 – 25 O 40/22) der Klage zunächst stattgab, änderte das OLG Karlsruhe (Urteil vom 08. Februar 2024 – 15 U 54/23) das Urteil teilweise ab. Dabei wies es die Klage gegen die Beklagte zu 2 mit der Begründung ab, es bestehe kein Direktanspruch der Versicherungsnehmerin der Klägerin gegen die Beklagte zu 2. Der Beklagte zu 1 hafte gemäß § 425 Abs. 1 HGB für den Schaden am Beförderungsgut.
Anknüpfung der Ansprüche der Klägerin
Maßgeblich für die Frage, ob ein Direktanspruch gegen die Beklagte zu 2 besteht, ist das auf die Ansprüche anwendbare Recht. Ein Direktanspruch hätte sich im vorliegenden Fall aus Art. 18 Rom II-VO i.V.m. Art. 822 § 4 Abs. 4 Polnisches Zivilgesetzbuch ergeben können. Art. 18 Rom II-VO gewährt einen Direktanspruch gegen den Versicherer des Schädigers, wenn dies nach dem auf das außervertragliche Schuldverhältnis oder nach dem auf den Versicherungsvertrag anzuwendende Recht vorgesehen ist.
Anwendungsbereich des Art. 18 Rom II-VO
Das Revisionsgericht entschied jedoch, dass Art. 18 Rom II-VO im vorliegenden Fall gar nicht anwendbar sei. Voraussetzung der Vorschrift sei, dass der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf einem außervertraglichen Schuldverhältnis beruht. Da der Anspruch in casu auf dem Frachtvertrag beruht, liege ein vertragliches Rechtsverhältnis vor.
Auch der im Schrifttum vorgetragene Einwand, in solchen Fällen sei der Anwendungsbereich des Art. 18 Rom II-VO trotzdem eröffnet, da der Direktanspruch gegen den Versicherer außervertraglicher Natur sei, greife nicht. Der BGH stellt ausdrücklich klar, dass es bei Art. 18 Rom II-VO ausschließlich auf die Natur des Anspruchs des Geschädigten ankomme, welcher wiederum nach der Systematik der Rom I-VO und Rom II-VO außervertraglicher Natur sein müsse. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Geschädigten und der Beklagten zu 2 sei damit vertraglicher Natur. Der Anwendungsbereich des Art. 18 Rom II-VO sei damit nicht eröffnet und es bestehe auch kein Direktanspruch in Verbindung mit Art. 822 § 4 Abs. 4 Polnisches Zivilgesetzbuch. Der BGH verzichtet auf eine Vorlage zum EuGH, da kein vernünftiger Zweifel daran bestehe, dass Art. 18 Rom II-VO ein außervertragliches Schuldverhältnis voraussetze.
Europarechtliche Abgrenzung vertraglicher und außervertraglicher Schuldverhältnisse
Der BGH stellt klar, dass die Abgrenzung zwischen vertraglichen und außervertraglichen Schuldverhältnissen unionsautonom zu erfolgen habe. Die Rom I-VO sei nach ihrem Art. 1 auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwenden. Darunter verstehe der EuGH „eine von einer Person gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene rechtliche Verpflichtung“. Im Unterschied dazu erfasse die Rom II-VO jede Klage, mit der eine Schadenshaftung geltend gemacht wird, die nicht an einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag anknüpft. Bei dem Frachtvertrag handele es sich unstrittig um eine freiwillig eingegangene Verpflichtung, womit der Schadensersatzanspruch vertraglicher Natur sei.
Direktanspruch aus dem Versicherungsvertrag zwischen den beiden Beklagten
Der BGH setzt sich anschließend mit der Frage auseinander, ob sich ein Direktanspruch des Geschädigten aus dem Versicherungsvertrag zwischen den beiden Beklagten ergeben könnte. Dafür war zunächst das anwendbare Recht zu ermitteln. Deutschland hat in Art. 46d Abs. 2 EGBGB von der Ermächtigung des Art. 7 Abs. 4 lit. b) Rom I-VO Gebrauch gemacht und bestimmt, dass auf Versicherungsverträge über Risiken, die einer Versicherungspflicht unterliegen, deutsches Recht anwendbar sein soll. Nach § 7a GüKG ist ein Unternehmer verpflichtet, bei Beförderungen, bei denen der Be- und Entladeort im Inland liegt, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen, die die Haftung nach dem Vierten Abschnitt des Vierten Buches des Handelsgesetzbuchs abdeckt. Der BGH stellte klar, dass es sich um eine Pflichtversicherung nach § 113 VVG handele.
Der BGH verneinte jedoch einen Direktanspruch nach § 115 VVG. Dieser sieht vor, dass der Geschädigte einen Schadensersatzanspruch direkt gegen den Versicherer geltend machen kann, wenn eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach § 1 des Pflichtversicherungsgesetzes oder nach § 3 des Auslandsfahrzeug-Pflichtversicherungsgesetzes bestehenden Versicherungspflicht in Frage steht. Der BGH bejahte zwar, dass es sich um eine Pflichtversicherung handele, die Pflicht zum Abschluss der Versicherung beruhe jedoch nicht auf den oben genannten Normen.
Damit bestehe im Ergebnis auch kein Direktanspruch aus dem Versicherungsvertrag der beiden Beklagten.
Übergang eines etwaigen Direktanspruchs
Der BGH entschied, dass ein etwaiger Direktanspruch gemäß Art. 15 Rom I-VO von der Versicherungsnehmerin der Klägerin auf die Klägerin übergegangen wäre. Die Klägerin habe als Dritte die Versicherungsnehmerin als Gläubigerin befriedigt. In welchem Umfang der Dritte die Forderung gegen den Schuldner geltend machen darf, richtet sich gemäß Art. 15 Rom I-VO nach der Verpflichtung der Klägerin gegenüber der Versicherungsnehmerin. Der BGH führte aus, dass das Versicherungsverhältnis keinerlei Auslandsbezug aufweise und damit deutsches Recht anwendbar sei. Ein etwaiger Direktanspruch würde somit gemäß § 86 Abs. 1 S. 1 VVG auf die Klägerin übergehen.
Fazit
Im Ergebnis lässt sich ein Direktanspruch folglich weder aus Art. 18 Rom II-VO in Verbindung mit Art. 822 § 4 Abs. 4 Polnisches Zivilgesetzbuch noch aus dem Versicherungsverhältnis zwischen den Beklagten herleiten.
In seinem Urteil arbeitet der BGH insbesondere den Sinn und Zweck des Art. 18 Rom II-VO vor dem Hintergrund des Unionsrechts heraus und lehnt die Anwendung auf Direktansprüche gegen den Versicherer ab, sofern das zugrundeliegende Rechtsverhältnis vertraglicher Natur ist.
Henrik Müller