BGH: Bei einer Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ist für das vollständige Vorliegen der Verbraucherinformation nach § 10a VAG a.F. nicht erforderlich, dass der Versicherer die auf die Zusatzversicherung entfallende Prämie einzeln ausweist.

BGH, Urteil vom 24. Juni 2020 – IV ZR 275/19

In seinem Urteil vom 24. Juni 2020 (IV ZR 275/19) befasste sich der 4. Zivilsenat des BGH mit den Erfordernissen für das vollständige Vorliegen der Verbraucherinformation nach § 10a VAG a.F. Hierbei war fraglich, ob der Versicherer verpflichtet ist, die Prämien einer Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung einzeln auszuweisen.

Im zugrundeliegenden Sachverhalt begehrte der VN vom Versicherer Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeträge und Herausgabe von Nutzungen aus einem kapitalbildenden Lebensversicherungsvertrag mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Der Vertrag wurde mit Versicherungsbeginn zum 01. Juni 2002 und einer Laufzeit von zwölf Jahren nach dem sogenannten Policenmodell des § 5a VVG a.F. abgeschlossen. Nach Versicherungsende im Jahr 2014 erklärte der VN mit Schreiben vom 22. Oktober 2015 den Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. Er war der Ansicht, er sei zu diesem Zeitpunkt noch zum Widerruf berechtigt gewesen, da die Widerspruchsbelehrung unzureichend und die ihm überlassenen Verbraucherinformationen unvollständig gewesen seien. Dies wurde mit der fehlenden Einzelausweisung der Zusatzversicherung begründet.

Wie die Vorinstanz (OLG Köln) entschied der BGH, dass bei einer Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung keine Verpflichtung zum gesonderten Prämienausweis bestehe und die allgemeine Widerspruchsfrist von 14 Tagen gem. § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. nicht gewahrt wurde. Zwar fordere Abschnitt I Nr. 1 Buchst. e) der Anlage D einen Einzelausweis der Prämien, wenn das „Versicherungsverhältnis mehrere selbständige Versicherungsverträge umfassen soll“. Allerdings wurde diese Voraussetzung mit der Begründung verneint, dass die Versicherer erst in den 1970er Jahren dazu übergegangen seien, eine ausdrücklich als „selbständig“ bezeichnete Versicherung gegen Berufsunfähigkeit anzubieten. Zuvor habe nur die Möglichkeit bestanden, derartigen Versicherungsschutz gemeinsam mit dem Abschluss einer Lebensversicherung zu erlangen (vgl. BGH VersR 2010, 375), weshalb sich die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung gerade dadurch auszeichne, mit der Lebensversicherung eine Einheit zu bilden (BGH VersR 2001, 752). Dafür spreche ebenfalls, dass seither zwischen einer selbständigen Berufsunfähigkeitsversicherung und einer unselbständigen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung unterschieden werde. Die herrschende Auffassung geht demnach davon aus, dass die Voraussetzungen zweier selbständiger Versicherungsverträge bei einer Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeitsversicherung nicht erfüllt seien (OLG Frankfurt, Beschluss v. 07.10.2019 – 3 U 128/19, juris; OLG Köln, Urt. v. 27.09.2019 – 20 U 129/18, juris; Rudy in Prölss/Martin, VVG 31. Auflage 2021, § 1 VVG-InfoV Rn. 9; Baroch-Castellvi in HK-VVG, 4. Auflage 2020, § 1 VVG-InfoV Rn. 19). Das zeige auch ein Vergleich des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung vom 4. März 1994 (BT-Drucks. 12/6959 S. 33) mit dem ihm vorausgegangen Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen. Der Referentenentwurf sah dabei ausdrücklich vor, dass über „die Prämien für eingeschlossene Zusatzversicherungen“ zu informieren ist (§ 10a Abs. 1 Nr. 6 VAG-RefE). Diese Regelung wurde aber nicht in die endgültige Fassung des VAG übernommen, was den gesetzgeberischen Willen zeige, Versicherungen mit eingeschlossenen Zusatzversicherungen von der Pflicht zum Einzelausweis der Prämien in der Verbraucherinformation ausnehmen zu wollen.

Ferner sei nicht entscheidungserheblich, ob der Entschluss des Gesetzgebers, in Abschnitt I Nr. 1 Buchst. e) der Anlage Teil D zum VAG a.F. von einer Pflicht zum Einzelausweis bei einer Lebens- und Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung abzusehen und gem. § 5a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. einen von dieser Prämienaufschlüsselung unabhängigen Beginn der Widerspruchsfrist zu bestimmen, im Einklang mit Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 steht. Dies begründete der Senat damit, dass § 10a VAG a.F. i.V.m. Abschnitt I Nr. 1 Buchst. e) der Anlage Teil D einer von seinem eindeutigen Regelungsgehalt abweichenden richtlinienkonformen Auslegung nicht zugänglich sei (vgl. BGHZ 215, 126). Zwar bestehe grundsätzlich die Verpflichtung, innerstaatliches Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen, um das in ihr festgelegte Ziel zu erreichen (vgl. EuGH GRUR 2016, 1307). Die Verpflichtung des nationalen Richters finde ihre Grenzen allerdings in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und dürfe nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem dienen (EuGH ZIP 2019, 1802; NZA 2012, 139). Im vorliegenden Fall spreche der Wortlaut des Abschnitts I Nr. 1 Buchst. e) der Anlage Teil D zu § 10a VAG a.F. eindeutig für die gesetzgeberische Intention der Ausnahme von der Pflicht zum Einzelausweis. Auch die bewusste Entscheidung, die ursprünglich vorgesehene Informationspflicht nicht in das VAG zu übernehmen, spreche dafür, dass die Regelung nicht planwidrig unvollständig sei. Der damit zum Ausdruck gebrachte eindeutige Wille des Gesetzgebers sei demnach bindend und dürfe nicht im Wege richtlinienkonformer Auslegung oder Rechtsfortbildung geändert werden (vgl. BGHZ 215, 126).

Es komme letztlich auch nicht darauf an, ob das Policenmodell mit den Lebensversicherungsrichtlinien unvereinbar ist. Auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftswidrigkeit des Policenmodells sei es dem ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrten Kläger nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach zwölf Jahre langer Vertragslaufzeit auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche abzuleiten. Die jahrelangen Prämienzahlungen hätten für den Kläger erkennbar bei der Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrages begründet (zu den Maßstäben BGH VersR 2014, 1065).

Durch die Ablehnung einer gesonderten Prämienausweispflicht nach § 10a VAG a.F. i.V.m. Abschnitt I Nr. 3 Buchst. e) Teil D folgt der BGH der herrschenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur, welche annimmt, dass eine Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung die Voraussetzungen zweier selbständiger Versicherungsverträge nicht erfüllt. Dies ist mit Blick auf die Vertragspraxis der Versicherer und die historische Entwicklung der Berufsunfähigkeitsversicherung begrüßenswert. 

Des Weiteren bleibt der Senat seinen Maßstäben zu den Grenzen richtlinienkonformer Auslegung nationalen Rechts treu. Die Ablehnung einer solchen Auslegung oder Rechtsfortbildung des § 10a VAG a.F. erscheint vor dem Hintergrund des eindeutigen Wortlauts geboten, um das Regelungsziel des Gesetzgebers nicht zu verfehlen.

Lennart Struß

BGH: Eigenkapitalrendite der Versicherung nicht ausreichend für Berechnung von Nutzungen – Anspruchshöhe bei unbefristetem Widerspruchsrecht

BGH, Urteil vom 29.04.2020 – IV ZR 5/19

In dem Urteil vom 29.04.2020 befasste sich der BGH mit der Berechnung von Nutzungsersatzansprüchen aus § 818 Abs. 1 BGB nach Ausübung des unbefristeten Widerspruchsrechts aus § 5a VVG a.F. Diese Berechnung könne nicht lediglich auf die betriebswirtschaftliche Kennzahl der Eigenkapitalrendite der Versicherung gestützt werden. 

In dem zugrundeliegenden Sachverhalt verlangte der VN von der Versicherung die Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge und die Herausgabe gezogener Nutzungen. Nachdem der VN ordnungsgemäß gekündigt hatte, übte er außerdem sein Widerspruchsrecht aus. Mangels ordnungsgemäßer Belehrung bestand das Widerspruchsrecht noch im Zeitpunkt seiner Ausübung. Die Regelung in § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F., die nach einem Jahr nach Zahlung der ersten Prämie das Erlöschen des Rechts zum Widerspruch vorsah, ist nach der Rechtsprechung des BGH auf Lebens- und Rentenversicherungsverträge nicht anwendbar (BGH, Urteil vom 07.05.2014 – IV ZR 76/1) (Siehe weitergehend zu dieser Thematik auch: https://www.ivr-blog.de/2016/08/partielle-nichtanwendung-von-§-5a-abs-2-satz-4-vvg-a-f-im-bereich-der-lebensversicherungen-verfassungsrechtlich-nicht-zu-beanstanden/).

Demnach entfiel der Rechtsgrund für die Prämienzahlungen des VN und das Rechtsverhältnis war nach §§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2, 818 BGB rückabzuwickeln. Der VN machte neben dem Anspruch auf die Rückzahlung von Prämien auch einen Anspruch auf Herausgabe gezogener Nutzungen aus § 818 Abs. 1 BGB geltend. Für den begehrten Nutzungsersatz differenzierte der BGH nach Art des jeweiligen Prämienanteils. So seien Nutzungen aus dem Risikoanteil an der Prämie beispielsweise schon deshalb nicht herauszugeben, weil es sich dabei um Wertersatz für den vom VN faktisch genossenen Versicherungsschutz handelt. Für den Anfall und die Höhe tatsächlich gezogener Nutzungen aus der Prämie liegt die Beweis- und Darlegungslast ferner beim VN (Armbrüster, Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von Lebensversicherungen, NJW 2015, 3065 (3067)).

Vorliegend berechnete der VN die vermeintlich gezogenen Nutzungen durch Abstellen auf die Eigenkapitalrendite der Versicherung. Die Eigenkapitalrendite ist eine betriebswirtschaftliche Kennzahl, die den Gewinn im Verhältnis zum eingesetzten Eigenkapital beschreibt (Gabler, Versicherungslexikon 2. Aufl. S. 253). Aufgrund der vielseitigen und unterschiedlichen Einflüsse auf diese Kennzahl – wie etwa des Verkaufs von Unternehmensanteilen – berücksichtigte die Berechnung des VN dadurch Beträge und Vorgänge, die sich unter keinen Umständen als Resultat der Verwendung der Prämienanteile verstehen ließen (vgl. auch OLG Karlsruhe: Urteil vom 27.09.2019 – 12 U 78/18). Der BGH kontrastierte diesen Befund ferner mit dem Fall eines Aktionärs, dem sehr wohl die Eigenkapitalrendite Aufschluss über die Verzinsung seiner Investition geben könne. Einem solchen sei der VN jedoch gerade nicht gleichzustellen, da er mit seiner Prämienzahlung keine Investition in das bilanzierte Eigenkapital der Versicherung getätigt habe.

Eine selbstständige Rechtsprechungsentwicklung aufgrund der Eigenheiten versicherungsrechtlicher Fälle ließ sich bereits zuvor erkennen. Bei der Nutzungsherausgabe von Kreditinstituten hatte der BGH eine tatsächliche Vermutung aufgestellt, wonach Nutzungen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz berechnet werden könnten (BGH, Urteil vom 12.5.1998 – XI ZR 79–97). Diese Vermutung lässt sich jedoch nicht auf die Herausgabe von Nutzungen aus Prämien übertragen, weil Versicherungen keine Kreditgeschäfte tätigen (Schwab, MüKo BGB § 818 Rn. 20). Dies hatte der BGH schon in einem ähnlich gelagerten Fall entschieden (BGH, Urteil vom 29.7.2015 – IV ZR 384/­14).

Mit dem nun ergangenen Urteil bringt der BGH weitere Klarheit bei der Berechnung von Ansprüchen, die sich aus der Ausübung des „ewigen“ Widerspruchsrechts ergeben. Die Rechtsprechung des BGH zeigt auf, dass sich eine Berechnung der gezogenen Nutzungen auf die tatsächliche Ertragslage der Versicherung beziehen muss. Ohne dieses Element ist jegliche Berechnung unzureichend. Eine Schätzung aufgrund der Eigenkapitalrendite eignet sich dafür nicht. Dies wurde zuvor von den Oberlandesgerichten noch uneinheitlich gesehen (vgl. die Ausführungen der Vorinstanz OLG Köln, Urteil vom 07.12.2018 – 20 U 76/18).

Zukünftige Anspruchsteller sind gut beraten, bspw. anhand von Jahresberichten der Versicherung so genau wie möglich die durchschnittliche Verzinsung von Eigenkapitalanteilen nachzuvollziehen, um den Anforderungen des BGH bei der Darlegung des Anspruchs zu genügen.

Sinan Hatun