BGH, Urteil vom 28.10.2009 – IV ZR 140/08 = VersR 2010, 97
Nach § 22 VVG bleibt das Recht des Versicherers, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, von den Sonderregelungen der §§ 19 ff. VVG unberührt. Dabei beseitigt § 22 VVG lediglich die Sperrwirkung der §§ 19 ff. VVG, die inhaltlichen Voraussetzungen richten sich weiterhin ausschließlich nach § 123 BGB (Looschelders in: Looschelders/Pohlmann, VVG, § 22 Rn. 2.). Für den Anfechtungsgrund nach § 123 BGB ist in der Praxis vor allem die Frage, ob rechtswidrig erhobene personenbezogene Gesundheitsdaten verwertbar sind oder nicht, von erheblicher Bedeutung (Fuchs, Kein Verwertungsverbot von rechtswidrig erhobenen personenbezogenen Gesundheitsdaten, jurisPR-VersR 5/2009 Anm. 1). Die Datenerhebung und die damit zusammenhängende Schweigepflichtentbindungserklärung wurden im Zuge der VVG-Reform in § 213 VVG (siehe dazu: Wolf, Die Erhebung personenbezogener Gesundheitsdaten bei Dritten, ZVersWiss 2009, 35 ff.) neu geregelt.
Nachdem bereits das OLG Hamburg (Beschluss v. 18.01.2007 – 9 U 41/06, VersR 2008, 770, 772) ein Verwertungsverbot verneint hat, lehnt nun auch der BGH (Urt. v. 28.10.2009 – IV ZR 140/08, VersR 2010, 97, 98 f.) ein solches Verbot ab und sieht vielmehr eine Güterabwägung für geboten an. Nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten führe stets oder auch nur regelmäßig zur Unzulässigkeit der Ausübung der hierdurch erlangten Rechtsstellung. Insbesondere in den Fällen, in denen kein zielgerichtetes treuwidriges Verhalten festzustellen sei, müsse durch eine umfassende Abwägung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls entschieden werden, ob und inwieweit einem Beteiligten die Ausübung einer Rechtsposition nach Treu und Glauben verwehrt sein solle (ebenso Looschelders/Olzen in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 242 Rn. 220, 251). Dies müsse umso mehr gelten, sofern beiden Seiten ein Rechtsverstoß zur Last falle.
Dem BGH ist zuzustimmen. Die allgemein anerkannte Sanktion des Arglistigen im materiellen Recht liefe leer, falls sich der Arglistige im Verfahrensrecht auf ein Beweisverwertungsverbot berufen kann. Zumal es auch aus der Einheitlichkeit der Rechtsordnung geboten ist, eine Abwägung vorzunehmen, denn ebenso wenig kennt die StPO ein allgemeines Verwertungsverbot.
Ingo Weckmann
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