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Identität des Interesses und der Gefahr bei einem Gespann aus Kraftfahrzeug und versicherungspflichtigem Anhänger

BGH, Urteil vom 27.10.2010 – IV ZR 279/08 = BeckRS 2010, 29733

Voraussetzung einer Doppel- bzw- Mehrfachversicherung ist die Identität des Interesses und der Gefahr, vgl. § 59 Abs. 1 VVG a.F.; § 78 Abs. 1 VVG. Dies ist der Fall, wenn eine Deckungsgleichheit des Versicherungsschutzes besteht (BGH, VersR 1976, 847).

Für die Frage nach der Reichweite der Deckungsgleichheit gibt es keine allgemeingültige Definition, sondern es ist vielmehr eine Frage des Einzelfalls. So ist u.a. umstritten, inwieweit Deckungsgleichheit bei Versicherungen für ein Kraftfahrzeug und einen versicherungspflichtigen Anhänger besteht, wenn diese ein Gespann bilden.

Nach einem restriktiven Verständnis beschränkt sich die Deckungsgleichheit lediglich auf Haftungsansprüche, die aus dem Gebrauch des Anhängers herrühren (Jacobsen, in: Feyock/Jacobsen/Lemor, Kraftfahrtversicherung, § 3 KfzPflVV Rn. 3; Stahl/Jahnke, NZV 2010, 57, 61 f.).

Der BGH ist diesem engen Verständnis mit Urteil vom 27.10.2010 – Az: IV ZR 279/08 (BeckRS 2010, 29733) entgegengetreten. Nach seiner Ansicht erfasst die Deckungsgleichheit das gesamte Gespann (ebenso Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., AKB 2008 A.1.1 Rn. 31). Dies folge aus einer systematischen Gesamtbetrachtung der Normen des PflVG, des StVG und der FZV (BeckRS 2010, 29733 Rn. 14-18). Insbesondere die Einführung einer selbständigen Gefährdungshaftung für Halter und Fahrer von Anhänger durch die Änderung der §§ 7, 17, 18 StVG im Zuges des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19.07.2002 (BGBl. I 2674-2680) würde die Annahme einer Doppelversicherung nahe legen (BeckRS 2010, 29733 Rn. 19-21).

Die Entscheidung dürfte auch für die §§ 77, 78 des neuen VVG Bestand haben. Denn dort ist ebenfalls die Identität des Interesses und der Gefahr Voraussetzung für eine Mehrfachversicherung, wobei keine vollständige Identität bestehen muss (von Koppenfels-Spies, in Looschelders/Pohlmann, § 77 Rn. 8, 12).

Nach dem BGH führt die angenommene Mehrfachversicherung in der zugrundeliegenden Konstellation grundsätzlich zur hälftigen Teilung des Schadens im Innenverhältnis. Dagegen sprächen auch nicht die §§ 17 Abs. 4, 18 Abs. 3 StVG, auch wenn die Entwurfsbegründung für das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften einen Vorrang vermuten ließe (BT-Drucks. 14/7752, S. 29). Die Begründung erkenne nicht den Unterschied von zwei voneinander unabhängigen schädigenden Fahrzeugen und einem unfallverursachenden Gespann. Letzeres sei nicht nur technisch, sondern auch über die Person des Fahrers personell miteinander verbunden. Zudem seien die Betriebsgefahren der beiden Sachverhalte unterschiedlich (BeckRS 2010, 29733 Rn. 30). Letztlich ergäbe sich bereits aus § 18 StVG, dass zum Haftungsverband des Anhängers auch dessen Führer gehöre (BeckRS 2010, 29733 Rn. 29).

Dem BGH ist insgesamt zuzustimmen. Lediglich die systematische Berücksichtigung der Vorschriften von PflVG und StVG gewährleisten bei Auslegung der Mehrfachversicherung Rechtssicherheit.

Ingo Weckmann, LL.M.

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