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BGH: Risikoausschluss einer Sturmflut greift nicht ein, wenn die Schäden nicht unmittelbar durch die Sturmflut verursacht worden sind

BGH, Urteil vom 26. Februar 2020 – IV ZR 239/19

Der BGH hat mit seinem Urteil vom 26. Februar 2020 (IV ZR 239/19) entschieden, dass der in AVB festgelegte Risikoausschluss für Schäden durch Sturmflut in § 8 Nr. 4 a) bb) ECB 2010 nicht eingreift, wenn die Schäden nur als mittelbare Auswirkung einer Sturmflut entstanden sind. Er hält damit an seinem Grundsatz der engen Auslegung von Risikoausschlussklauseln fest.

Im zugrundeliegenden Sachverhalt machte die Eigentümerin eines Hafengrundstücks Ansprüche aus einer erweiterten Gebäudeversicherung geltend. Das Grundstück liegt 16 Kilometer entfernt von der Ostseeküste, mit dem Meer verbunden durch einen Fluss. Versichert war das auf dem Grundstück gelegene Hafenhaus unter anderem gegen Überschwemmungen und Rückstau. Daneben enthielten die AVB eine Risikoausschlussklausel bei Schäden durch Sturmflut.

Im Januar 2017 richtete Sturmtief „Axel“ am Haus der Klägerin einen Wasserschaden im fünfstelligen Eurobereich an. Die starken auflandigen Winde des Tiefs verursachten enorme Wasserstände an der Küste. Durch diese Sturmflut und die Enge des Fließgewässers konnte das Wasser nicht in ausreichender Menge in die Ostsee abfließen. Das Wasser staute sich in der Folge flussaufwärts und überschwemmte das Grundstück der Klägerin. Die Beklagte lehnte jegliche Leistung mit Hinweis auf die AVB und den Risikoausschluss Sturmflut ab.

Nachdem schon die Gerichte der Vorinstanz zugunsten der Klägerin entschieden hatten (z. B. KG Berlin r+s 2019, 588), lehnte nunmehr auch der BGH die Revision des Versicherers ab. Der Senat begründete diese Entscheidung damit, die Überschwemmung des Grundstücks sei nicht unmittelbar auf die Sturmflut zurückzuführen. Vielmehr habe die Sturmflut nur das Abfließen des aus dem Inland kommenden Wassers verhindert und dieses habe den Schaden verursacht. Ein solch weitgreifender Ursachenzusammenhang sei mangels ausdrücklicher Regelung von der Ausschlussklausel nicht umfasst gewesen. 

Zu diesem Ergebnis führte den BGH, dass der tatbestandliche Umfang der Risikoausschlussklausel nicht hinreichend bestimmt und daher durch Auslegung zu ermitteln gewesen sei. Dabei sei maßgeblich, „wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht“. Die größte Bedeutung bei der Auslegung fiel somit dem Wortlaut der Klausel zu. Soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar waren, durften auch Zweck und Sinnzusammenhang berücksichtigt werden (St. Rspr. des BGH r+s 2019, 647, 649; VersR 2019, 542 Rn. 15; VersR 2017, 1076 Rn. 26). Den Begriff der Sturmflut definiert der BGH nach dem allgemeinen Sprachgebrauch als ein durch auflandigen Sturm bewirktes, außergewöhnlich hohes Ansteigen des Wassers an Meeresküsten und in Flussmündungen (http://brockhaus.de/ecs/enzy/article/sturmflut [zuletzt besucht am 28.04.2020]; Hoenicke in Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess 4. Aufl. 2020, § 4 Rn. 230).

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird den Schaden einer durch inlandiges Wasser verursachten Überflutung demnach nicht als ausgeschlossen ansehen, auch wenn sich in 16 Kilometern Entfernung eine Sturmflut ereignet hat. Anders wäre dies zu beurteilen, wäre durch die Sturmflut Meereswasser in den Fluss hineingedrückt worden (vgl. Jula in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. 2012, § 5 VHB 2010 A Rn. 33), was aber nicht der Fall war.

Die teleologische Auslegung der Klausel bringt den Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse zu demselben Ergebnis: Der Versicherer möchte Naturkatastrophen von nicht beherrschbarem Ausmaß ausschließen. Als solcher Fall sei die Flussüberschwemmung aus Sicht eines Versicherungsnehmers nicht zu sehen. Der Senat betont, dies hätte einer Klarstellung seitens des Versicherers bedurft.

Durch das Urteil betont der Senat wie schon bisher die enge Auslegung von Risikoausschlussklauseln (VersR 2019, 542 Rn. 26; VersR 2012, 1253 Rn. 20). Der Umfang des Versicherungsschutzes soll durch Ausschlussklauseln nicht mehr verkürzt werden, als dies für den Versicherungsnehmer erkennbar sei. Der Versicherungsnehmer soll sich beim Studieren der AVB auch ohne Anwendung juristischer Auslegungsmethoden zweifelsfrei über den Umfang und die Begrenzungen seiner Versicherungsleistungen informieren können. Risikoausschlüsse bedeuten für den Versicherungsnehmer, der sich durch seine Versicherung geschützt glaubt, oftmals existenzbedrohende Überraschungen. Insofern ist das Urteil aus Sicht des Verbraucherschutzes begrüßenswert.

Wilko Gerber

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