BGH: Bei einer Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ist für das vollständige Vorliegen der Verbraucherinformation nach § 10a VAG a.F. nicht erforderlich, dass der Versicherer die auf die Zusatzversicherung entfallende Prämie einzeln ausweist.

BGH, Urteil vom 24. Juni 2020 – IV ZR 275/19

In seinem Urteil vom 24. Juni 2020 (IV ZR 275/19) befasste sich der 4. Zivilsenat des BGH mit den Erfordernissen für das vollständige Vorliegen der Verbraucherinformation nach § 10a VAG a.F. Hierbei war fraglich, ob der Versicherer verpflichtet ist, die Prämien einer Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung einzeln auszuweisen.

Im zugrundeliegenden Sachverhalt begehrte der VN vom Versicherer Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeträge und Herausgabe von Nutzungen aus einem kapitalbildenden Lebensversicherungsvertrag mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Der Vertrag wurde mit Versicherungsbeginn zum 01. Juni 2002 und einer Laufzeit von zwölf Jahren nach dem sogenannten Policenmodell des § 5a VVG a.F. abgeschlossen. Nach Versicherungsende im Jahr 2014 erklärte der VN mit Schreiben vom 22. Oktober 2015 den Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. Er war der Ansicht, er sei zu diesem Zeitpunkt noch zum Widerruf berechtigt gewesen, da die Widerspruchsbelehrung unzureichend und die ihm überlassenen Verbraucherinformationen unvollständig gewesen seien. Dies wurde mit der fehlenden Einzelausweisung der Zusatzversicherung begründet.

Wie die Vorinstanz (OLG Köln) entschied der BGH, dass bei einer Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung keine Verpflichtung zum gesonderten Prämienausweis bestehe und die allgemeine Widerspruchsfrist von 14 Tagen gem. § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. nicht gewahrt wurde. Zwar fordere Abschnitt I Nr. 1 Buchst. e) der Anlage D einen Einzelausweis der Prämien, wenn das „Versicherungsverhältnis mehrere selbständige Versicherungsverträge umfassen soll“. Allerdings wurde diese Voraussetzung mit der Begründung verneint, dass die Versicherer erst in den 1970er Jahren dazu übergegangen seien, eine ausdrücklich als „selbständig“ bezeichnete Versicherung gegen Berufsunfähigkeit anzubieten. Zuvor habe nur die Möglichkeit bestanden, derartigen Versicherungsschutz gemeinsam mit dem Abschluss einer Lebensversicherung zu erlangen (vgl. BGH VersR 2010, 375), weshalb sich die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung gerade dadurch auszeichne, mit der Lebensversicherung eine Einheit zu bilden (BGH VersR 2001, 752). Dafür spreche ebenfalls, dass seither zwischen einer selbständigen Berufsunfähigkeitsversicherung und einer unselbständigen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung unterschieden werde. Die herrschende Auffassung geht demnach davon aus, dass die Voraussetzungen zweier selbständiger Versicherungsverträge bei einer Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeitsversicherung nicht erfüllt seien (OLG Frankfurt, Beschluss v. 07.10.2019 – 3 U 128/19, juris; OLG Köln, Urt. v. 27.09.2019 – 20 U 129/18, juris; Rudy in Prölss/Martin, VVG 31. Auflage 2021, § 1 VVG-InfoV Rn. 9; Baroch-Castellvi in HK-VVG, 4. Auflage 2020, § 1 VVG-InfoV Rn. 19). Das zeige auch ein Vergleich des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung vom 4. März 1994 (BT-Drucks. 12/6959 S. 33) mit dem ihm vorausgegangen Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen. Der Referentenentwurf sah dabei ausdrücklich vor, dass über „die Prämien für eingeschlossene Zusatzversicherungen“ zu informieren ist (§ 10a Abs. 1 Nr. 6 VAG-RefE). Diese Regelung wurde aber nicht in die endgültige Fassung des VAG übernommen, was den gesetzgeberischen Willen zeige, Versicherungen mit eingeschlossenen Zusatzversicherungen von der Pflicht zum Einzelausweis der Prämien in der Verbraucherinformation ausnehmen zu wollen.

Ferner sei nicht entscheidungserheblich, ob der Entschluss des Gesetzgebers, in Abschnitt I Nr. 1 Buchst. e) der Anlage Teil D zum VAG a.F. von einer Pflicht zum Einzelausweis bei einer Lebens- und Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung abzusehen und gem. § 5a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. einen von dieser Prämienaufschlüsselung unabhängigen Beginn der Widerspruchsfrist zu bestimmen, im Einklang mit Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 steht. Dies begründete der Senat damit, dass § 10a VAG a.F. i.V.m. Abschnitt I Nr. 1 Buchst. e) der Anlage Teil D einer von seinem eindeutigen Regelungsgehalt abweichenden richtlinienkonformen Auslegung nicht zugänglich sei (vgl. BGHZ 215, 126). Zwar bestehe grundsätzlich die Verpflichtung, innerstaatliches Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen, um das in ihr festgelegte Ziel zu erreichen (vgl. EuGH GRUR 2016, 1307). Die Verpflichtung des nationalen Richters finde ihre Grenzen allerdings in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und dürfe nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem dienen (EuGH ZIP 2019, 1802; NZA 2012, 139). Im vorliegenden Fall spreche der Wortlaut des Abschnitts I Nr. 1 Buchst. e) der Anlage Teil D zu § 10a VAG a.F. eindeutig für die gesetzgeberische Intention der Ausnahme von der Pflicht zum Einzelausweis. Auch die bewusste Entscheidung, die ursprünglich vorgesehene Informationspflicht nicht in das VAG zu übernehmen, spreche dafür, dass die Regelung nicht planwidrig unvollständig sei. Der damit zum Ausdruck gebrachte eindeutige Wille des Gesetzgebers sei demnach bindend und dürfe nicht im Wege richtlinienkonformer Auslegung oder Rechtsfortbildung geändert werden (vgl. BGHZ 215, 126).

Es komme letztlich auch nicht darauf an, ob das Policenmodell mit den Lebensversicherungsrichtlinien unvereinbar ist. Auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftswidrigkeit des Policenmodells sei es dem ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrten Kläger nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach zwölf Jahre langer Vertragslaufzeit auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche abzuleiten. Die jahrelangen Prämienzahlungen hätten für den Kläger erkennbar bei der Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrages begründet (zu den Maßstäben BGH VersR 2014, 1065).

Durch die Ablehnung einer gesonderten Prämienausweispflicht nach § 10a VAG a.F. i.V.m. Abschnitt I Nr. 3 Buchst. e) Teil D folgt der BGH der herrschenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur, welche annimmt, dass eine Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung die Voraussetzungen zweier selbständiger Versicherungsverträge nicht erfüllt. Dies ist mit Blick auf die Vertragspraxis der Versicherer und die historische Entwicklung der Berufsunfähigkeitsversicherung begrüßenswert. 

Des Weiteren bleibt der Senat seinen Maßstäben zu den Grenzen richtlinienkonformer Auslegung nationalen Rechts treu. Die Ablehnung einer solchen Auslegung oder Rechtsfortbildung des § 10a VAG a.F. erscheint vor dem Hintergrund des eindeutigen Wortlauts geboten, um das Regelungsziel des Gesetzgebers nicht zu verfehlen.

Lennart Struß

BGH: Zur Abgrenzung zwischen einer Eigenversicherung und einer Versicherung für fremde Rechnung ist entscheidend auf den Inhalt der getroffenen Vereinbarungen und die nach diesen Vereinbarungen geschützten Interessen abzustellen / Widerruflichkeit eines Bezugsrechts in der Berufsunfähigkeitsversicherung entfällt mit Eintritt des Versicherungsfalles auch hinsichtlich aller erst zukünftig fällig werdenden Rentenzahlungen

BGH, Urteil vom 15. Juli 2020 – IV ZR 4/19

Der 4. Zivilsenat des BGH befasste sich in seinem Urteil vom 15. Juli 2020 (IV ZR 4/19) mit der Auslegung eines Versicherungsvertrages als Versicherung für fremde Rechnung. Dabei komme es primär darauf an, ob die versicherte Person lediglich als Gefahrsperson oder als Versicherte i.S.d. § 74 Abs. 1 VVG a.F. bzw. § 43 Abs. 1 VVG zu betrachten ist. Von Letzterem sei zumindest bei der Absicherung von Familienmitgliedern auszugehen. 

Beim Eintritt des Versicherungsfalles entfalle zudem die Widerruflichkeit eines Bezugsrechts – auch im Hinblick auf die nach Eintritt fällig werdenden Rentenzahlungen. Einem Auskehrungsanspruch des Versicherten stehe also ein Widerrufsrecht des VN nicht entgegen, welches nach Eintritt des Versicherungsfalles ausgeübt wurde.

Im zugrundeliegenden Sachverhalt machte ein überörtlicher Sozialhilfeträger einen Auskehranspruch der Tochter des Beklagten aus übergeleitetem Recht geltend. Der Beklagte schloss im Jahr 2002 als Versicherungsnehmer eine Berufsunfähigkeitsversicherung ab, bei welcher seine Tochter im Versicherungsschein als „versicherte Person“ bezeichnet und ein „Bezugsrecht“ als vereinbart wurde, nach dem die Versicherungsleistung im Erlebensfall an die versicherte Person zu zahlen sei. Im Mai 2009 stellte der Versicherer die Berufsunfähigkeit der Tochter mit Wirkung zum November 2006 fest und zahlte die Versicherungsleistung zunächst an sie und den Kläger. Auf Intervention des Beklagten wurde ab März 2013 an ihn ausgezahlt.

Entgegen der Vorinstanz (OLG München) nahm der BGH eine Versicherung für fremde Rechnung gem. § 74 I VVG a.F. an. Es müsse bei der Vertragsauslegung primär darauf ankommen, ob der VN sich nur vor eigenen wirtschaftlichen Einbußen schützen möchte oder jedenfalls ein eigenes Interesse der Tochter versichert werden sollte (vgl. Klimke in Prölss/Martin, VVG 31. Auflage 2021, § 43 Rn. 2). Zur Begründung von Letzterem wurde angeführt, dass bei der Absicherung von Familienmitgliedern vor den Folgen gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass lediglich die Interessen des VN gesichert werden sollen. Dies hatte der Senat bereits bei der privaten Krankenversicherung zugunsten einer mitversicherten Ehefrau entschieden (BGH NJW 2006, 1434). Die Tochter des Beklagten sei demnach keine Gefahrsperson, sondern gelte als Versicherte i.S.d. § 74 Abs. 1 VVG a.F. Einer solchen Annahme stehe auch nicht eine drohende Unterhaltsverpflichtung des VN entgegen. Dessen Interesse ziele generell nicht lediglich darauf ab, sich vor wirtschaftlichen Risiken abzusichern, sondern auch das Interesse des Versicherten einzubeziehen. (vgl. Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung 4. Auflage 2020, Kap. 4 Rn. 69). Dies gelte umso mehr im Hinblick auf die Versicherungslaufzeit bis zum 60. Lebensjahr der Tochter des Beklagten. 

Ferner bejahte der BGH die entsprechende Anwendbarkeit der §§ 74 ff. VVG a.F. auf die streitgegenständliche Versicherung, wodurch ein Auskehrungsanspruch gegen den VN gem. § 75 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. begründet werde. Zwar stehen die §§ 74 ff. VVG a.F. im Abschnitt über die Schadensversicherung, während es sich bei der Berufsunfähigkeitsversicherung um eine Summenversicherung handelt (BGH NJW-RR 2001, 316, 317). Eine entsprechende Anwendung könne aber damit begründet werden, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung wirtschaftlich den Charakter einer Schadensversicherung habe. Dafür spreche, dass ein Ausgleich für gesundheitsbedingte Erwerbseinbußen bezweckt werde und die Versicherungsleistung regelmäßig vom Nettoeinkommen des Versicherten abhängig sei. Zudem sei eine für die Analogie rechtfertigende planwidrige Regelungslücke im VVG a.F. anzunehmen, da der Gesetzgeber bei der VVG-Reform die Erstreckung der Regelungen betreffend die Versicherung für fremde Rechnung über die Schadensversicherung hinaus auf alle Versicherungszweige vornahm, die Vorschriften aber inhaltlich unverändert ließ (BT-Drucks. 16/3945 S. 72 Zu § 43). Insofern hatte der BGH auch bereits die Auffassung des OLG Hamm gebilligt, welches eine entsprechende Anwendung des § 75 Abs. 2 VVG a.F. auf die Krankentagegeldversicherung mit ähnlicher Begründung annahm (BGH VersR 1974, 184; OLG Hamm VersR 1972, 968). 

Auch könne dem Anspruch der Tochter gegen den Beklagten nicht entgegenstehen, dass dieser sich ein Widerrufsrecht bezüglich der Bezugsberechtigung vorbehalten hatte und dieses nach Eintritt des Versicherungsfalles ausübte. Zu diesem Zeitpunkt habe die Tochter den Anspruch auf die Versicherungsleistung gegen den Versicherer bereits entsprechend § 166 Abs. 2 VVG a.F. erworben, weshalb ein bis dahin widerrufliches Bezugsrecht entfalle (vgl. BGH NJW 2018, 3025, 3026). Dies gelte auch im Hinblick auf die erst nach Eintritt des Versicherungsfalles fällig werdenden Zahlungen, da die wiederkehrenden Einzelleistungen in der Berufsunfähigkeitsversicherung aus einem eigenständigen Stammrecht folgen (vgl. BGH NJW 2019, 1874 (1875); vgl. Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG 6. Auflage 2019, § 172 Rn. 71). Nach überwiegender Ansicht könne diese auf Dauer angelegte Rechtsposition dem Berechtigten nach Eintritt des Versicherungsfalles demnach nicht mehr entzogen werden (Rixecker in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Auflage 2015, § 46 Rn. 238; Höra in MAH, Versicherungsrecht 4. Auflage 2017, § 26 Rn. 314; vgl. Dörner in Langheid/Wandt, Münchener Kommentar zum VVG 2. Auflage 2017, § 172 Rn. 38).

Durch die Annahme einer Versicherung für fremde Rechnung bestätigt der BGH seine vorherige Rechtsprechung bezüglich der Einbeziehung naher Familienangehöriger nun auch für die Berufsunfähigkeitsversicherung. Unter Berücksichtigung der langen Versicherungslaufzeit und der persönlichen Nähe zwischen VN und Versicherten erscheint dies interessengerecht. Zudem ist der Versicherte nach Eintritt des Versicherungsfalles besonders schutzwürdig. Die Ablehnung eines Widerrufsrechts des VN ist insofern ebenfalls begrüßenswert. 

Lennart Struß

BGH: Eigenkapitalrendite der Versicherung nicht ausreichend für Berechnung von Nutzungen – Anspruchshöhe bei unbefristetem Widerspruchsrecht

BGH, Urteil vom 29.04.2020 – IV ZR 5/19

In dem Urteil vom 29.04.2020 befasste sich der BGH mit der Berechnung von Nutzungsersatzansprüchen aus § 818 Abs. 1 BGB nach Ausübung des unbefristeten Widerspruchsrechts aus § 5a VVG a.F. Diese Berechnung könne nicht lediglich auf die betriebswirtschaftliche Kennzahl der Eigenkapitalrendite der Versicherung gestützt werden. 

In dem zugrundeliegenden Sachverhalt verlangte der VN von der Versicherung die Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge und die Herausgabe gezogener Nutzungen. Nachdem der VN ordnungsgemäß gekündigt hatte, übte er außerdem sein Widerspruchsrecht aus. Mangels ordnungsgemäßer Belehrung bestand das Widerspruchsrecht noch im Zeitpunkt seiner Ausübung. Die Regelung in § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F., die nach einem Jahr nach Zahlung der ersten Prämie das Erlöschen des Rechts zum Widerspruch vorsah, ist nach der Rechtsprechung des BGH auf Lebens- und Rentenversicherungsverträge nicht anwendbar (BGH, Urteil vom 07.05.2014 – IV ZR 76/1) (Siehe weitergehend zu dieser Thematik auch: https://www.ivr-blog.de/2016/08/partielle-nichtanwendung-von-§-5a-abs-2-satz-4-vvg-a-f-im-bereich-der-lebensversicherungen-verfassungsrechtlich-nicht-zu-beanstanden/).

Demnach entfiel der Rechtsgrund für die Prämienzahlungen des VN und das Rechtsverhältnis war nach §§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2, 818 BGB rückabzuwickeln. Der VN machte neben dem Anspruch auf die Rückzahlung von Prämien auch einen Anspruch auf Herausgabe gezogener Nutzungen aus § 818 Abs. 1 BGB geltend. Für den begehrten Nutzungsersatz differenzierte der BGH nach Art des jeweiligen Prämienanteils. So seien Nutzungen aus dem Risikoanteil an der Prämie beispielsweise schon deshalb nicht herauszugeben, weil es sich dabei um Wertersatz für den vom VN faktisch genossenen Versicherungsschutz handelt. Für den Anfall und die Höhe tatsächlich gezogener Nutzungen aus der Prämie liegt die Beweis- und Darlegungslast ferner beim VN (Armbrüster, Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von Lebensversicherungen, NJW 2015, 3065 (3067)).

Vorliegend berechnete der VN die vermeintlich gezogenen Nutzungen durch Abstellen auf die Eigenkapitalrendite der Versicherung. Die Eigenkapitalrendite ist eine betriebswirtschaftliche Kennzahl, die den Gewinn im Verhältnis zum eingesetzten Eigenkapital beschreibt (Gabler, Versicherungslexikon 2. Aufl. S. 253). Aufgrund der vielseitigen und unterschiedlichen Einflüsse auf diese Kennzahl – wie etwa des Verkaufs von Unternehmensanteilen – berücksichtigte die Berechnung des VN dadurch Beträge und Vorgänge, die sich unter keinen Umständen als Resultat der Verwendung der Prämienanteile verstehen ließen (vgl. auch OLG Karlsruhe: Urteil vom 27.09.2019 – 12 U 78/18). Der BGH kontrastierte diesen Befund ferner mit dem Fall eines Aktionärs, dem sehr wohl die Eigenkapitalrendite Aufschluss über die Verzinsung seiner Investition geben könne. Einem solchen sei der VN jedoch gerade nicht gleichzustellen, da er mit seiner Prämienzahlung keine Investition in das bilanzierte Eigenkapital der Versicherung getätigt habe.

Eine selbstständige Rechtsprechungsentwicklung aufgrund der Eigenheiten versicherungsrechtlicher Fälle ließ sich bereits zuvor erkennen. Bei der Nutzungsherausgabe von Kreditinstituten hatte der BGH eine tatsächliche Vermutung aufgestellt, wonach Nutzungen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz berechnet werden könnten (BGH, Urteil vom 12.5.1998 – XI ZR 79–97). Diese Vermutung lässt sich jedoch nicht auf die Herausgabe von Nutzungen aus Prämien übertragen, weil Versicherungen keine Kreditgeschäfte tätigen (Schwab, MüKo BGB § 818 Rn. 20). Dies hatte der BGH schon in einem ähnlich gelagerten Fall entschieden (BGH, Urteil vom 29.7.2015 – IV ZR 384/­14).

Mit dem nun ergangenen Urteil bringt der BGH weitere Klarheit bei der Berechnung von Ansprüchen, die sich aus der Ausübung des „ewigen“ Widerspruchsrechts ergeben. Die Rechtsprechung des BGH zeigt auf, dass sich eine Berechnung der gezogenen Nutzungen auf die tatsächliche Ertragslage der Versicherung beziehen muss. Ohne dieses Element ist jegliche Berechnung unzureichend. Eine Schätzung aufgrund der Eigenkapitalrendite eignet sich dafür nicht. Dies wurde zuvor von den Oberlandesgerichten noch uneinheitlich gesehen (vgl. die Ausführungen der Vorinstanz OLG Köln, Urteil vom 07.12.2018 – 20 U 76/18).

Zukünftige Anspruchsteller sind gut beraten, bspw. anhand von Jahresberichten der Versicherung so genau wie möglich die durchschnittliche Verzinsung von Eigenkapitalanteilen nachzuvollziehen, um den Anforderungen des BGH bei der Darlegung des Anspruchs zu genügen.

Sinan Hatun

BGH: Risikoausschluss einer Sturmflut greift nicht ein, wenn die Schäden nicht unmittelbar durch die Sturmflut verursacht worden sind

BGH, Urteil vom 26. Februar 2020 – IV ZR 239/19

Der BGH hat mit seinem Urteil vom 26. Februar 2020 (IV ZR 239/19) entschieden, dass der in AVB festgelegte Risikoausschluss für Schäden durch Sturmflut in § 8 Nr. 4 a) bb) ECB 2010 nicht eingreift, wenn die Schäden nur als mittelbare Auswirkung einer Sturmflut entstanden sind. Er hält damit an seinem Grundsatz der engen Auslegung von Risikoausschlussklauseln fest.

Im zugrundeliegenden Sachverhalt machte die Eigentümerin eines Hafengrundstücks Ansprüche aus einer erweiterten Gebäudeversicherung geltend. Das Grundstück liegt 16 Kilometer entfernt von der Ostseeküste, mit dem Meer verbunden durch einen Fluss. Versichert war das auf dem Grundstück gelegene Hafenhaus unter anderem gegen Überschwemmungen und Rückstau. Daneben enthielten die AVB eine Risikoausschlussklausel bei Schäden durch Sturmflut.

Im Januar 2017 richtete Sturmtief „Axel“ am Haus der Klägerin einen Wasserschaden im fünfstelligen Eurobereich an. Die starken auflandigen Winde des Tiefs verursachten enorme Wasserstände an der Küste. Durch diese Sturmflut und die Enge des Fließgewässers konnte das Wasser nicht in ausreichender Menge in die Ostsee abfließen. Das Wasser staute sich in der Folge flussaufwärts und überschwemmte das Grundstück der Klägerin. Die Beklagte lehnte jegliche Leistung mit Hinweis auf die AVB und den Risikoausschluss Sturmflut ab.

Nachdem schon die Gerichte der Vorinstanz zugunsten der Klägerin entschieden hatten (z. B. KG Berlin r+s 2019, 588), lehnte nunmehr auch der BGH die Revision des Versicherers ab. Der Senat begründete diese Entscheidung damit, die Überschwemmung des Grundstücks sei nicht unmittelbar auf die Sturmflut zurückzuführen. Vielmehr habe die Sturmflut nur das Abfließen des aus dem Inland kommenden Wassers verhindert und dieses habe den Schaden verursacht. Ein solch weitgreifender Ursachenzusammenhang sei mangels ausdrücklicher Regelung von der Ausschlussklausel nicht umfasst gewesen. 

Zu diesem Ergebnis führte den BGH, dass der tatbestandliche Umfang der Risikoausschlussklausel nicht hinreichend bestimmt und daher durch Auslegung zu ermitteln gewesen sei. Dabei sei maßgeblich, „wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht“. Die größte Bedeutung bei der Auslegung fiel somit dem Wortlaut der Klausel zu. Soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar waren, durften auch Zweck und Sinnzusammenhang berücksichtigt werden (St. Rspr. des BGH r+s 2019, 647, 649; VersR 2019, 542 Rn. 15; VersR 2017, 1076 Rn. 26). Den Begriff der Sturmflut definiert der BGH nach dem allgemeinen Sprachgebrauch als ein durch auflandigen Sturm bewirktes, außergewöhnlich hohes Ansteigen des Wassers an Meeresküsten und in Flussmündungen (http://brockhaus.de/ecs/enzy/article/sturmflut [zuletzt besucht am 28.04.2020]; Hoenicke in Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess 4. Aufl. 2020, § 4 Rn. 230).

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird den Schaden einer durch inlandiges Wasser verursachten Überflutung demnach nicht als ausgeschlossen ansehen, auch wenn sich in 16 Kilometern Entfernung eine Sturmflut ereignet hat. Anders wäre dies zu beurteilen, wäre durch die Sturmflut Meereswasser in den Fluss hineingedrückt worden (vgl. Jula in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. 2012, § 5 VHB 2010 A Rn. 33), was aber nicht der Fall war.

Die teleologische Auslegung der Klausel bringt den Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse zu demselben Ergebnis: Der Versicherer möchte Naturkatastrophen von nicht beherrschbarem Ausmaß ausschließen. Als solcher Fall sei die Flussüberschwemmung aus Sicht eines Versicherungsnehmers nicht zu sehen. Der Senat betont, dies hätte einer Klarstellung seitens des Versicherers bedurft.

Durch das Urteil betont der Senat wie schon bisher die enge Auslegung von Risikoausschlussklauseln (VersR 2019, 542 Rn. 26; VersR 2012, 1253 Rn. 20). Der Umfang des Versicherungsschutzes soll durch Ausschlussklauseln nicht mehr verkürzt werden, als dies für den Versicherungsnehmer erkennbar sei. Der Versicherungsnehmer soll sich beim Studieren der AVB auch ohne Anwendung juristischer Auslegungsmethoden zweifelsfrei über den Umfang und die Begrenzungen seiner Versicherungsleistungen informieren können. Risikoausschlüsse bedeuten für den Versicherungsnehmer, der sich durch seine Versicherung geschützt glaubt, oftmals existenzbedrohende Überraschungen. Insofern ist das Urteil aus Sicht des Verbraucherschutzes begrüßenswert.

Wilko Gerber

D&O-Versicherung: Verfügungsbefugnis des Versicherten trotz Insolvenz des VN – Abweichung in AVB von §§ 44 Abs. 2, 45 Abs. 1 VVG

BGH, Urteil vom 4. März 2020 – IV ZR 110/19

In dem Urteil vom 4. März 2020 (IV ZR 110/19) befasst sich der BGH unter anderem mit der Auslegung von Ziff. 9.1 ULLA, welche abweichend von §§ 44 Abs. 2, 45 Abs. 1 VVG bestimmt, dass den Anspruch auf Versicherungsschutz „nur die versicherten Personen“ geltend machen können. An dieser Verfügungsbefugnis ändere auch eine etwaige Insolvenz des VN nichts.

Im zugrundeliegenden Sachverhalt machte der Kläger, ehemaliger Geschäftsführer der VN, am 17. November 2014 Ansprüche aus einer Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für leitende Organe geltend. Er forderte die beklagte Versicherung auf, ihm Deckungsschutz für die Abwehr von auf Geschäftsführerhaftung gestützten Schadensersatzansprüchen zu gewähren. Dem Versicherungsvertrag lagen AVB für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Unternehmensleitern und leitenden Angestellten (kurz: ULLA) zugrunde. 

Da über das Vermögen der VN am 1. Mai 2011 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, lehnte die Vorinstanz (Entscheidung des OLG Frankfurt vom 21. März 2019, Az. 7 U 177/15) etwaige Ansprüche zum jetzigen Zeitpunkt ab: nach dem 1. März 2011 zahlte die VN keine Versicherungsbeiträge mehr. Bisher habe allerdings diesbezüglich noch keine Erfüllungswahl der Insolvenzverwalterin gem. § 103 InsO stattgefunden. Demnach falle der Versicherungsfall nicht in einen Zeitraum, in dem die VN die ihrerseits geschuldete Leistung erbracht habe.

Aufgrund der Modifikation der §§ 44, 45 VVG durch Ziff. 9.1 ULLA komme es laut BGH auf die vorstehenden Überlegungen jedoch gar nicht erst an. 

Der BGH maß dem untersuchten Versicherungsvertrag die Qualität einer Versicherung für fremde Rechnung i.S.d. § 43 Abs. 1 VVG bei (vgl. auch BGHZ 214, 314 Rn. 13). Nach dem gesetzlichen Regelfall ist bei einem solchen gem. §§ 44 Abs. 1 Satz 1, 45 Abs. 1 VVG der VN befugt, die Rechte aus dem Versicherungsvertrag geltend zu machen. Im Insolvenzfall geht diese Verfügungsbefugnis des VN auch grundsätzlich auf den Insolvenzverwalter über, vgl. § 80 Abs. 1 InsO (BGHZ 214, 314 Rn. 12; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG 6. Aufl. 2019, § 44 Rn. 2). Allerdings werde dies vorliegend durch Ziff. 9.1 ULLA ausgeschlossen, worin vereinbart wurde, dass den Anspruch auf Versicherungsschutz nur die versicherten Personen geltend machen können. Für die Auslegung der Klausel müsse der Verständnismaßstab eines durchschnittlichen VN sowie der Versicherten einer D&O-Versicherung herangezogen werden (BGHZ 202, 122 Rn. 16).

Nach Auffassung des Senats sei die Klausel daher nicht als rein deklaratorisch, sondern dahingehend anzusehen, dass die §§ 44 Abs. 2, 45 Abs. 1 VVG verändert werden sollen (vgl. für eine ähnliche Klausel BGHZ 214, 314 Rn. 14 f.; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG 6. Aufl. 2019, § 44 Rn. 3). Die materielle Berechtigung der versicherten Person nach § 44 Abs. 1 Satz 1 VVG werde dadurch nicht ausgehebelt, sondern bleibe bestehen und werde durch Zuspruch der alleinigen Verfügungsbefugnis erweitert. Auch werde das Wahlrecht der Insolvenzverwalterin nicht beschränkt, weil der Versicherungsanspruch nach § 44 Abs. 1 Satz 1 VVG ohnehin dem Versicherten und nicht der VN zustünde (BGHZ 202, 122 Rn. 30 a.E.).

Mit diesem Urteil bezieht der BGH deutlich Stellung, dass auch im Insolvenzfall die Verfügungsbefugnis der versicherten Person zustehen kann. Dies entspricht den Interessen der Parteien, da so ihrem Recht auf Vertragsfreiheit Anerkennung gezollt wird. Auf diesem Weg kann das Recht der Vertragspartner auf Selbstbestimmung im Versicherungswesen gewährleistet werden. Insgesamt betont der BGH damit den Grundsatz der Privatautonomie. Die Entscheidung ist daher zu begrüßen.

Katharina Kruse